Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
ihrer Lösung zugingen.
    Denn der Fall ging doch wohl seiner Lösung zu?
    Er kehrte an den Schreibtisch zurück und sank auf den Stuhl, der besorgniserregend knarrte. Er hatte Gruselgeschichten von Bürostühlen gehört, die durchgedreht waren und sich in gräßliche Folterinstrumente verwandelt hatten, Mechanismen, die einen halben Meter hoch in den Enddarm schossen. Er dachte an sein zusammengebrochenes Bett und schaukelte ganz leicht im Stuhl. Er klang wirklich ein kleines bißchen mörderisch. Die Rache der Bürostühle IV. Der Hollywooderfolg lief vor ausverkauften Häusern. Durchgesessene Kinosessel jubelten und ließen Federn springen, die die Leinwand durchbohrten. Kein Computerbildschirm blieb trocken. Gardinen schneuzten sich in sich selbst. Büro um Büro überall in den USA revoltierte.
    Zerstreutheit war nur der Vorname. Warum? Es gab immer einen Anlaß für seine Zerstreutheitsanfälle. Etwas scheuerte irgendwo, irritierte. Etwas machte, daß er mit der Liste nicht hundertprozentig zufrieden war.
    Er begann die Namen zu sortieren und eine geeignete Routenführung zurechtzulegen. Drei in der Innenstadt, zwei in nördlichen Vororten, einer im Süden. Obwohl sie jetzt sicher arbeiteten. Also Arbeitsplätze. Huddinge, zwei in Kista, zwei an der Technischen Hochschule, Nynäshamn, Danderyd. Reihenfolge: Danderyd, Techniche Hochschule, Kista, Huddinge, Nynäshamn. Oder Kista, Danderyd, Technische Hochschule, Huddinge, Nynäshamn. Das war vielleicht besser.
    Er legte die Liste hin und starrte an die Wand. Er testete seine Stimme und arbeitete sich durch eine Skala. Unschöner nasaler Ton. Wieder eine Verletzung, die seine Singstimme beeinträchtigt hatte. Darin lag etwas Unangenehmes. Strafe? Mahnung? Mahnung vielleicht. Erinnerung.
    Plötzlich waren sie wieder da. Gunilla. Die geplatzten Augenbrauen. Tommys und Tanjas kugelrunde Augen. Müßt ihr ausgerechnet jetzt kommen?
    Es gab einen einzigen versöhnlich stimmenden Zug in seiner Vergangenheit: Er hatte nie die Kinder angerührt, nicht ein einziges Mal die Hand gegen Tommy und Tanja erhoben.
    Bekam er deswegen die ganze Zeit Prügel, daß es ihm die Stimme verzerrte? Damit er nie vergaß, warum er sang? Gerade weil es eine unglaublich unpassende Gelegenheit war, ergriff er sie.
    Es gab zwei Tommy Nybergs in Uddevalla. Er rief den ersten an. Er war vierundsiebzig und stocktaub. Er rief den zweiten an. Eine Frau meldete sich. Ein Baby schrie im Hintergrund. Eine Enkelkind? dachte er.
    »Ich möchte Tommy Nyberg sprechen«, sagte er mit überraschend fester Stimme.
    »Er ist nicht zu Hause«, sagte die Frau. Sie hatte eine feine Stimme. Mezzosopran, schätzte er.
    »Darf ich nur zuerst fragen: Wie alt ist Tommy?«
    »Sechsundzwanzig«, sagte sie. »Wer sind Sie denn?«
    »Sein Vater«, sagte er geradeheraus.
    »Sein Vater ist tot. Hören Sie auf.«
    »Ist das sicher?«
    »Mausetot. Ich habe ihn gefunden. Und jetzt hör auf mit den Faxen, alter Sack.«
    Sie knallte den Hörer auf. Er mußte ja nicht mehr unbedingt in Uddevalla wohnen, klar. Außerdem war Tommy vierundzwanzig, rechnete er rasch aus. Alter Sack? dachte er und lachte. Ein Galgenlachen. Es gab noch eine Chance.
    Es gab eine Tanja Nyberg–Nilsson. Verheiratet. Ein Doppelname.
    Er rief an. Eine Frauenstimme meldete sich. Sanft. Ruhig.
    »Tanja.«
    Was bildete er sich ein, den Frieden zu stören? Leg auf, leg auf, leg auf, sagte seine innere Stimme. Du hast deine Schiffe hinter dir verbrannt. Es ist zu spät.
    »Hallo«, sagte er und schluckte heftig.
    »Hallo, wer ist da?«
    ja, wer war da? Der unbekannten Frau eben hatte er unbedacht das Wort »Vater« hingeworfen. War das wirklich ein Titel, um den er sich verdient gemacht hatte?
    »Gunnar«, sagte er in Ermangelung eines besseren Einfalls.
    »Welcher Gunnar?« sagte die Frau und verstummte. Sie sprach einen Westküstendialekt; es klang nach Göteborg, aber auch nicht ganz.
    »Gunnar Trolle?« sagte sie nach einer Weile, ein wenig mißtrauisch. Warum rufst du an? Es ist schon lange vorbei, das weißt du.«
    »Nicht Gunnar Trolle«, sagte er. »Gunnar Nyberg.«
    Es wurde vollkommen still. Hatte sie aufgelegt?
    »Papa?« sagte sie fast unhörbar.
    Die kugelrunden Augen. War es möglich weiterzureden?
    »Geht es dir gut?« fragte er.
    »Ja«, sagte sie nur. »Warum...«
    Sie brach ab.
    »Ich habe in der letzten Zeit viel an euch gedacht«, sagte er.
    »Bist du krank?« fragte sie.
    Ja, vollkommen unsäglich.
    »Nein. Nein, ich ... weiß nicht. Ich

Weitere Kostenlose Bücher