Böses Blut
Gelegenheit beim Schopf, als Chavez über rapide zunehmenden Arschschweiß klagte, und die beiden ehemaligen Machtmordhelden überließen das Präsidium beständigeren Medaillengewinnern wie Waldemar Mörner. Es war nicht herausgekommen, was mit der Anzeige des ABC–Reporters passiert war, der sich, Zitat, »massive Lippenschäden« zugezogen hatte, als Mörner ihm das Mikrophon in den Mund drückte. Wahrscheinlich war die Anzeige entschieden leichter verdaulich gewesen.
Auf den Straßen bot ein weiterer strahlend klarer Spätsommernachmittag seine kostenlosen Dienste an. Der Herbst war nach Arlanda gekommen, zögerte aber noch, sich hinunter nach Stockholm zu bewegen. Die etwas schlappe Symbolik konnte kaum jemandem entgehen.
Chavez konnte sich noch immer mit dem alten Leinenjackett begnügen, dessen graue Tarnfarbe nicht vollends in der Lage war, von der Reinigungsbedürftigkeit abzulenken. Er streckte seinen kompakten kleinen Latino–Körper, als sie die Kungsholmsgata entlangspazierten und die Scheelegata überquerten.
»Das Internet«, sagte er träumerisch. »Unendliche Möglichkeiten. Und unendlich viel Scheiße.«
»Wie das Leben«, sagte Hjelm philosophisch.
Sie bogen in die Pipersgata ein, kämpften sich die Steigung hinauf und enterten die steilen Treppen nach Kungsklippan, wo die Häuserreihen einander mit ihrer Aussicht über Stockholm zu überbieten versuchten; einige starrten aufs Rathaus und hinüber zum Polizeipräsidium – das waren kaum die attraktivsten –, andere warfen lüsterne Blicke an Kungsholms Kirche hinab auf Norr Mälarstrand und Riddarfjärden, wieder andere blickten ein wenig verächtlich hinüber zum Häusergedränge der City und weiter hinauf nach Östermalm. In einem der letzteren wohnte Lars–Erik Hassels Sohn aus erster Ehe.
Sie klingelten. Nach einer Weile offenbarte sich ein blonder Jüngling mit einem schütteren kleinen Kinnbart, ärmellosem T–Shirt und sackartigen Hosen.
»Die Bullen«, sagte er ausdruckslos.
»Ja, aber hallo«, sagten die Bullen im Chor über die Polizeiausweise hinweg. »Darf man eintreten?«
»Eine Weigerung wäre wohl so sinnvoll, wie sich selbst in den Fuß zu schießen«, sagte Hassel junior und ließ die beiden Exheroen vorbei.
Es war eine kleine Einzimmerwohnung mit Kochnische. Ein zerfranstes marineblaues Rollo hielt die Spätsommersonne auf Distanz. Ein Computerbildschirm warf ein bläuliches Flimmern über die Wände in der Nähe des Schreibtischs; ansonsten war die Wohnung finster.
Chavez zog an der Schnur, und das Rollo sauste mit einem Jaulen in die Höhe, das stark an das von Mörner produzierte erinnerte, als Robert E. Norton ihn in den Hintern trat. »Das wird nicht besonders häufig hochgelassen«, schlußfolgerte Chavez. »Bei einer solchen Aussicht sollten Sie vielleicht gelegentlich rausschauen.«
Vor dem Fenster stürzte die Kungsklippa hinunter zu dem Übergang von Insel zu Festland.
»Waren Sie bei der Arbeit?« fragte Hjelm. »Ihre Mutter sagte uns, daß Sie Literatur studieren.«
Laban Jeremias Hassel blinzelte gegen die augenscheinlich gewaltig irritierende Sonne an und lächelte stubenhockerblaß: »Ironie des Schicksals...«
»Inwiefern?« fragte Hjelm und hob eine umgedrehte Kaffeetasse von der Miniaturspüle. Das hätte er nicht tun sollen. Die Schimmeldämpfe ließen ihn zurückprallen.
»Mein Vater war einer von Schwedens führenden Literaturkritikern«, sagte Laban Jeremias und nahm Hjelms Pantomime ungerührt zur Kenntnis. »Die Ironie ist, daß alle glauben, ich sei mit dem literarischen Silberlöffel im Mund geboren worden. Aber mein Literaturinteresse ist im Gegenteil ein Protest gegen meinen Vater. Ich weiß nicht, ob das nachvollziehbar ist«, fügte er leise hinzu und setzte sich auf ein zerfasertes violettes Sofa im Stil der sechziger Jahre.
Die Möblierung in der kleinen Wohnung war überhaupt schäbig. Es war deutlich, daß hier ein Mensch ohne größeres Interesse für die Außenwelt wohnte.
»Ich glaube, ich verstehe«, sagte Hjelm, auch wenn es ihm nicht ganz gelang, Labans trendiges Äußeres mit dem inneren Chaos in Übereinstimmung zu bringen, das ihn zu beherrschen schien. »Ihre Auffassung von Literatur steht der Ihres Vaters diametral entgegen.«
»Er hat nie begriffen, wie wichtig es ist, sich zu entwickeln«, murmelte Laban Hassel und starrte auf einen Birkenholztisch, der einen durch und durch morschen Eindruck machte. »Für meinen Vater war und blieb die Literatur ein
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