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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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bürgerliches Dekadenzphänomen. Also brauchte man nichts darüber zu lernen. Nur sie klein zu machen. Und das ging so weiter, selbst nachdem er der bürgerlichste aller Bürger geworden war.«
    »Er mochte Literatur nicht«, nickte Hjelm.
    Laban hob für einen kurzen Moment den Blick und betrachtete Hjelm mit einer gewissen Verwunderung. Dann sank sein Blick wieder auf den Tisch. »Ich tue es«, flüsterte er. »Ohne sie wäre ich tot.«
    »Ihre Kindheit war nicht glücklich«, fuhr Hjelm im selben wohlausgewogenen, ruhigen, sicheren Tonfall fort. Dem Tonfall eines Vaters, dachte er.
    Oder eines halbgaren Psychologen.
    »Er ist so früh verschwunden«, sagte Laban und zeigte mit aller Deutlichkeit, daß die Situation ihm nicht neu war. Zahlreiche Therapiestunden schienen hinter ihm zu liegen. Er fing noch einmal an: »Er ist so früh verschwunden. Hat uns verlassen. Deshalb wurde er für mich ein Held, ein persönlicher Mythos eines großen, berühmten, unerreichbaren Denkers, und in dem Maße, in dem ich selbst anfing, Bücher zu lesen, ganz ohne sein Zutun, wurde er immer interessanter. Ich beschloß, mit dem Lesen seiner Bücher zu warten, bis ich mich reif dafür fühlte. Dann würde ich sie lesen, und alles würde offenbar werden.«
    »Und wurde es das?«
    »Ja. Allerdings in genau entgegengesetzter Weise, als ich es mir gedacht hatte. Sein kultureller Firnis blätterte ab.«
    »Und dennoch hielten Sie bis zuletzt den Kontakt aufrecht?«
    Laban zuckte mit den Schultern und fiel in Trance. Dann kam es schließlich: »Ich wartete und wartete, daß er etwas Wichtiges enthüllte, etwas Entscheidendes aus der Vergangenheit. Doch es kam nie. Es gelang ihm immer, einen Rauh–aber–herzlich–Ton zwischen uns aufrechtzuerhalten. Es war, als würde man den Umkleideraum des AIK betreten. Eine widerwärtige Kumpelhaftigkeit. Keine Risse in der Mauer. Darauf wartete ich vergeblich. Vielleicht kamen sie im Moment seines Todes...«
    »Wenn ich Sie richtig verstehe, war Ihr Kontakt also ausgesprochen oberflächlich.«
    »Gelinde gesagt.«
    »Und trotzdem vertraute er Ihnen an, daß er Drohungen per E–Mail bekam...«
    Laban Hassel stutzte, ohne den Blick von dem morschen Tisch zu heben. Er wirkte immer kaputter. Schließlich sagte er kurz und bündig: »Ja.«
    »Erzählen Sie alles, was Sie wissen.«
    »Nur das, was er gesagt hat, daß ihn jemand terrorisierte.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Das war alles. Er ließ nur einmal im Vorbeigehen eine Bemerkung fallen.«
    »Und trotzdem fanden Sie es wert, Ihrer Mutter davon zu erzählen?«
    Laban sah ihn zum erstenmal richtig ernsthaft an. Ein Blick, mit dem nicht zu spaßen war. Ein bodenloser Abgrund von einer Kraft, mit der nur sehr wenige Dreiundzwanzigjährige in Berührung gekommen waren, tat sich auf. Es war ein Blick, der den arbeitslosen, aber kampfbereiten Kriminalen in Hjelm in Tätigkeit versetzte.
    »Meine Mutter und ich haben ein sehr gutes Verhältnis«, war alles, was Laban sagte.
    Hjelm machte sich nicht die Mühe, weiter zu bohren. Er brauchte einen neuen Einfallswinkel, bevor er wiederkam. Denn wiederkommen würde er.
    Sie dankten und gingen.
    Im Treppenhaus sagte Chavez: »Wozu zum Teufel wolltest du mich dabeihaben?«
    »Kerstin fand, daß du raus in die Sonne müßtest«, sagte Hjelm dreist.
    »Nicht gerade viel Sonne da drinnen ...«
    »Nein, ehrlich gesagt, brauchte ich eine Testperson, jemanden ohne die geringste vorgefaßte Meinung über Lars–Erik Hassel. Und?«
    Sie stiegen die Treppe zur Pipersgata hinunter. Die Sonne verhedderte sich in ein paar hartnäckigen Wolkenfetzen, so daß die nördliche Hälfte des Rathauses im Schatten lag. Eine sonderbare optische Doppelbelichtung entstand.
    »Rechts oder links?« fragte Chavez.
    »Links«, sagte Hjelm. »Wir wollen nach Marieberg.«
    Sie gingen schweigend die Pipersgata hinunter. Unten bei der Hantverkargata bogen sie nach rechts ab, wanderten an Kungsholms Torg vorbei und blieben an der Bushaltestelle stehen.
    »Also«, griff Chavez den Faden wieder auf. »Ich frage mich, wie es mit Labans Literaturstudium steht.«
    »Prüf es nach«, sagte Hjelm knapp.
    Der Bus war fast in Mariaberg angekommen, bis es Chavez gelungen war, an der Vermittlung von Stockholms Universität vorbei Kontakt zum Literaturwissenschaftlichen Institut zu bekommen, dessen telefonische Sprechzeiten von der asymmetrischen Sorte waren. Hjelm verfolgte das Schauspiel ein wenig aus der Distanz, wie ein Regisseur, der insgeheim

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