Böses Blut
und fuhr fort: »Wer ist ihr nächster Vorgesetzter?«
Noch mehr Ächzen, Mühe und Anstrengung. Dann: »Anders Wahlberg.«
»Ist er im Hause?«
»Jetzt?«
Nein, am ersten Dienstag nach Himmelfahrt vor zwei Jahren, dachte Söderstedt und sagte mit einschmeichelndem Lächeln: »Ja.«
Dann wiederholte sich die Prozedur von extremer Anstrengung, die in diesem Fall darin bestand, zwei Tasten auf einem Computer zu drücken. Nach dieser fast übermenschlichen Arbeitsbelastung konnte die Frau nur noch ein vollkommen atemloses Ja hervorbringen.
»Glauben Sie, ich kann mit ihm sprechen?«
Es war der Blick, dem vor langer Zeit Plantagenbesitzer mit Ochsenziemern begegnet waren. Die schwarze Sklavin wurde noch einmal gezwungen, sich zu erniedrigen. Sie drückte nicht weniger als drei Tasten der Haussprechanlage und brachte mit dem letzten Rest ihrer gepeinigten Stimme heraus: »Die Polizei.«
»Aha?« schnarrte eine verständnislose Männerstimme aus dem Hörer.
»Geht es?«
»Jetzt?«
»Ja.«
»Ja.«
Das Endergebnis dieses inspirierenden Dialogs war, daß Söderstedt durch einen von Kristallkronleuchtern erhellten Flur nach dem anderen wanderte und sich zwölfmal verlief. Schließlich fand er die ehrwürdige Tür, hinter der sich Außenrat Anders Wahlberg aufhielt. Er klopfte an.
»Herein«, ertönte eine Donnerstimme aus der Tiefe des Raums.
Arto Söderstedt betrat ein elegantes Vorzimmer mit stummer Sekretärin und sah dahinter ein noch eleganteres Büro mit Aussicht auf Strömmen. Anders Wahlberg war Ende Fünfzig und trug seine Korpulenz mit demselben offensichtlichen Stolz wie seinen minzgrünen Schlips, der aussah wie das Lätzchen der jüngsten Tochter nach beendeter Fütterungsschlacht.
»Arto Söderstedt«, sagte Arto Söderstedt. »Reichskriminalamt.«
»Wahlberg«, sagte Wahlberg. »Ich habe gehört, daß es um Lindberger geht. Was für eine Geschichte! Eric kann in der ganzen weiten Welt keinen Feind gehabt haben.«
Söderstedt setzte sich, ohne zu zögern, auf einen Stuhl, direkt gegenüber Wahlbergs kandelabergeschmücktem Mahagonischreibtisch. »Was war Lindbergers Arbeitsbereich?«
»Beide Eheleute sind auf die arabische Welt spezialisiert. Sie haben sich hauptsächlich mit dem Handel mit Saudi–Arabien beschäftigt und an unserer Botschaft dort gearbeitet. Jung und vielversprechend. Die Topdiplomaten der Zukunft, alle beide. Dachte man. War es wirklich ein amerikanischer Serienmörder?«
»Es sieht so aus«, sagte Söderstedt kurz. »Wie alt sind sie? Oder waren?«
»Justine ist achtundzwanzig, Eric war dreiunddreißig. Mit dreiunddreißig zu sterben...«
»Das war die durchschnittliche Lebenserwartung im Mittelalter.«
»Sicherlich«, sagte Wahlberg verwundert.
»Haben sie immer zusammen gearbeitet?«
»Im Prinzip, ja. Sie hatten etwas unterschiedliche Vorgaben bei ihren Geschäftskontakten. Aber abgesehen davon, waren ihre Aufgaben vergleichbar: den Handel zwischen Schweden und in erster Linie Saudi–Arabien zu erleichtern. In enger Zusammenarbeit mit Wirtschaftsvertretern beider Länder.«
»Unterschiedliche Vorgaben?«
»Eric hatte vor allem die großen schwedischen Exportunternehmen auf seiner Liste, Justine die etwas kleineren. Einfach ausgedrückt.«
»Sind sie immer zusammen gereist?«
»Nicht immer, nein. Es gab viele Reisen hin und her, und sie waren nicht immer so aufeinander abzustimmen.«
»Und absolut keine Feinde?«
»Nein. Absolut keine. Nicht die geringsten Unregelmäßigkeiten im Protokoll. Einwandfreie und gediegene Arbeit, generell. Ihnen gehörte die Zukunft, könnte man sagen, wenn es nicht jetzt so makaber klänge. Justine hätte dieser Tage wieder hinunterfliegen sollen, aber ich gehe davon aus, daß sie es jetzt nicht schafft. Es war geplant, daß Eric noch ein paar Monate von zu Hause aus arbeiten sollte. Nun bleibt er zu Hause, in Ewigkeit, Amen.«
»Wissen Sie, was das Ziel von Justines Reise ›dieser Tage‹ war?«
»Nicht im Detail. Sie sollte mich eigentlich heute informieren. Irgendein Problem mit einem neuen Gesetzesentwurf für den Handel mit Kleinunternehmen. Treffen mit saudischen Regierungsvertretern.«
»Und Sie können sich Erics Tod beim besten Willen nicht anders als durch Zufall oder Schicksal erklären?«
Anders Wahlberg schüttelte den Kopf und sah dann auf den Schreibtisch hinunter. Er wirkte, als müsse er weinen. »Wir waren Freunde«, sagte er. »Er war wie ein Sohn für mich. Wir hatten am Wochenende eine Verabredung zum
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