Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
hatten sie sich aus den Augen verloren. Und nein, zu dem Land seiner Ahnen hatte er keinerlei Kontakt, er redete ja nicht einmal mit seinen Eltern.
    Sie suchten weiter, intensiv. Sobald eine kleine brennende Frage sich offenbarte, warf Larner seine geduldig erstickende Decke über die Flamme. Es hatte tatsächlich den Anschein, als hätte er doch an alles gedacht. Sie begannen, seine Arbeit neu zu schätzen. Der Mangel an Hypothesen und Ideen schien mehr und mehr darauf zu beruhen, daß sich keine anboten. Er , hatte kühlen Kopf bewahrt und nicht zugelassen, daß sich – in Ermangelung besonnener – wilde Hypothesen seiner bemächtigten.
    Weiterzugehen ohne irgendeine Spur, der man folgen konnte, war der schwierigste Drahtseilakt ihres Berufs.
    Dennoch fühlten sie – und sie sprachen viel darüber, sprachen überhaupt viel, waren auf dem besten Weg, Freunde zu werden statt Liebender —, daß sie nur ein kleines, entscheidendes Stückchen brauchten, damit das Ganze ein zusammenhängendes Puzzle würde, fühlten sich nah am Ziel, ohne die geringste Veranlassung für ein solches Gefühl zu haben.
    »Uns ist etwas entgangen«, sagte Paul eines Abends im Hotelrestaurant. Sie hatten inzwischen jeden Gedanken daran aufgegeben, etwas anderes zu sehen als das FBI–Gebäude, das Innere von Taxis und das Hotel. Hjelm hielt guten Kontakt zu Cilla und seiner Familie in Schweden; am Anfang, als er noch nicht wußte, wie es zwischen ihm und Kerstin weitergehen würde, war er nicht so motiviert gewesen anzurufen, aber da sie sich immer stärker auf ihre polizeiliche Aufgabe konzentrierten, ließ sein Unbehagen nach, und seine Gespräche mit Cilla wurden lockerer und natürlicher. Er vermißte sie – wenn Zeit dazu war.
    »Wieso entgangen?« fragte Kerstin und schob sich ein Stück Dorschfilet in den Mund. »Uns entgeht doch ständig etwas. Je mehr wir finden, desto mehr entgeht uns.«
    Sie nahm einen Schluck Wein. War er ihr so nahegekommen, daß sie für ihn aufgehört hatte, schön zu sein? Er betrachtete ihren Kehlkopf, während sie schluckte. Nein, so war es nicht. Aber vielleicht hatte sein Begehren einen alternativen Seitenweg gefunden, den es früher auf seiner Landkarte nicht gegeben hatte. Er betrat jungfräuliches Gebiet – und verfluchte die Widerspenstigkeit der Bildsprache. »Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, daß wir gar nicht mehr wissen müssen.«
    »Was tun wir dann hier?«
    »Suchen einen Impuls. Den kleinen Stromstoß, der durch alles hindurchfährt und es zusammenfügt.«
    »Romantiker«, sagte sie und lächelte. Hatte er dieses Lächeln so oft gesehen, daß es nicht mehr einnehmend wirkte? Ein alberner Gedanke.
    Sie zählten die Tage nicht mehr. Sie bewegten sich wie zwei Fische im Aquarium.
    Eines frühen Morgens stand Larner in der Tür. Aufgeregt und mit der Dienstwaffe im Achselhalfter.
    »Sind Sie müde geworden?« rief er ausgelassen.
    Vier aufgerissene Augen betrachteten ihn skeptisch.
    »Wie wäre es mit ein bißchen richtiger Polizeiarbeit? Ausländische Beobachter bei Razzia in Drogennest?«
    Sie wechselten einen schnellen Blick. Vielleicht war es das, was sie brauchten.
    »Okay«, sagte Larner und lief schon wieder hinter Jerry Schonbauer den Korridor entlang. Der Boden bebte, als hätten seine Schritte den seismischen Gürtel von der West– an die Ostküste verschoben. »Wir sind ans ATF ausgeliehen worden. Man weiß nicht recht, was man mit uns anfangen soll, jetzt, wo Sie K. bekommen haben. Die übrigen Serienmörder des Bundesstaates ruhen in anderen Händen. Es gibt da ein Crack–Haus in Harlem, eine Chance, der amerikanischen Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen. Mir nach.«
    Sie waren draußen auf der Straße. Große schwarze Limousinen fuhren vor. Sie warfen sich neben Larner und Schonbauer in den Wagen. Alle vier hatten nebeneinander auf dem Rücksitz Platz. Die beiden Agenten zwängten sich in Jacken mit leuchtendgelben Buchstaben auf dem Rücken: ATF, Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms. Wie eine Beerdigungsprozession, die befürchtete, man würde ihr das Grab stehlen, drängelte die Karawane durch den New Yorker Verkehr und näherte sich dem nördlichen Manhattan, den hoffnungslosen Vierteln, den geopferten Vierteln, den begrabenen Vierteln. Die Hauserfassaden wurden rauher und rauher, schließlich sahen sie aus wie Bombenruinen. Das Dresden–Gefühl. Die Gesichter der Menschen wurden dunkler und dunkler, und schließlich waren überall nur noch Schwarze. Es war eine

Weitere Kostenlose Bücher