Böses Herz: Thriller (German Edition)
seinem inneren Auge zog eine Diashow grässlicher Bilder vorbei, Erinnerungen an verschiedene Kriegsgebiete, an verbrannte, zerschmetterte, zerstückelte Kinderleichen, die kaum mehr menschliche Gestalt besaßen. Nicht einmal ihre Jugend und Unschuld hatten sie vor einem gewalttätigen, gewissenlosen Egomanen schützen können, der absolute Kapitulation verlangte. So wie der Bookkeeper.
Und jetzt hatte der Bookkeeper Emily in seiner Gewalt.
»Okay, Doral, ich höre zu.«
»Das dachte ich mir.«
Sein arrogantes Kichern traf Coburn ins Mark. »Oder bluffst du etwa?«, wollte er wissen.
»Das würdest du dir wünschen.«
»Solche Elmos gibt’s überall. Woher soll ich wissen, dass es der von Emily ist?«
»Nettes Häuschen, das Tori hier am See stehen hat.«
Coburn ballte die Faust. Dann zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Wenn du dem Mädchen auch nur ein Haar krümmst …«
»Das liegt an dir, nicht an mir.«
Honor presste sich immer noch die Finger auf die Lippen. Die Augen darüber waren wässrig, weit aufgerissen und starr vor Schreck. Er würde Emily keinesfalls zurückbekommen, wenn er sich jetzt auf ein verbales Wettpinkeln mit Doral einließ. Also biss er in den sauren Apfel, schluckte alle weiteren Drohungen hinunter und fragte, was passieren musste, damit Honor ihre Tochter zurückbekam.
»Ganz einfach, Coburn. Du verschwindest. Sie lebt weiter.«
»Mit verschwinden meinst du sterben.«
»Schlau bist du, das muss man dir lassen.«
»Schlau genug, um diese Autobombe zu überleben.«
Doral ging nicht auf seine Bemerkung ein. »So lauten die Bedingungen.«
»Das sind beschissene Bedingungen.«
»Und sie sind nicht verhandelbar.«
Coburn machte sich bewusst, dass er von einem Telefon aus sprach, das jederzeit geortet werden konnte, und fragte knapp: »Wann und wo?«
Doral erklärte ihm, wohin er fahren sollte, wann er dort sein sollte und was er dann tun sollte. »Wenn du alle Anweisungen befolgst, kann Honor mit Emily heimfahren. Dann bleiben nur noch wir beide, Kumpel.«
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte Coburn. »Aber eins noch.«
»Was denn?«
»Wieso bist du eigentlich noch am Leben, nachdem du so viel Mist gebaut hast? Der Bookkeeper muss einen Grund haben, warum er dich noch nicht umgebracht hat. Vielleicht solltest du noch einmal darüber nachdenken.«
Doral legte auf und begann inbrünstig zu fluchen.
Coburn versuchte ihn schon wieder auszuspielen. Das war ihm klar. Aber Coburn war auch verflucht gut.
Weil er Dorals schlimmste Befürchtung ausgesprochen hatte: Dass er nichts weiter als ein Bauernopfer war, das – nach allem, was in den vergangenen zweiundsiebzig Stunden schiefgegangen war – leicht zu ersetzen war.
Er sah auf die Rückbank, wo Emily schlief. Er hatte sie mit Benadryl ruhiggestellt, damit sie keine Angst bekam oder Ärger machte, wenn sie erst begriff, dass Onkel Doral geschwindelt hatte, als er ihr erklärt hatte, warum er sie mitten in der Nacht aus Toris Haus am See holte.
Gerade als er den Finger am Abzug gehabt hatte, um Toris Leben auszulöschen, hatte er in seinem Rücken eine Piepsstimme gehört: »Hallo, Onkel Doral.«
Er hatte sich umgedreht und in der offenen Schlafzimmertür Emily stehen sehen. Honors Tochter war in ein Nachthemd gekleidet, hatte Elmo und ihre Schmusedecke umklammert und schien sich verstörenderweise über seinen Besuch zu freuen.
»Tante Tori hat mit mir Schlammkuchen gebacken. Und weißt du was? Morgen darf ich mit ihren Schminksachen spielen. Wieso hast du Handschuhe an? Es ist doch gar nicht kalt. Warum liegt Tante Tori auf dem Fußboden?«
Er hatte mehrere Sekunden gebraucht, um diese unerwartete Wendung der Ereignisse zu verarbeiten. Emily wollte schon zu ihm ins Zimmer kommen, doch in letzter Sekunde kam Doral die rettende Eingebung.
»Sie hält sich die Augen zu und zählt, weil wir Verstecken spielen wollen.«
Emily hatte keine Sekunde an seinen Worten gezweifelt und sofort mitgespielt. Während sie nach unten und zu dem Wagen geschlichen waren, den er für diese Nacht von seinem Cousin ausgeliehen hatte, hatte Emily nur mühsam ihr verschwörerisches Lachen unterdrücken können. Erst nachdem sie mehrere Meilen von dem Strandhaus entfernt waren, war sie misstrauisch geworden.
»Aber wenn wir uns so weit weg verstecken, kann Tante Tori uns nie finden.« Und dann: »Bringst du mich zu meiner Mommy? Wo ist Coburn? Er hat mir versprochen, dass er mir ein Eis kauft. Ich will zu meiner
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