Böses Herz: Thriller (German Edition)
Mommy!«
Als die Fragen immer öfter kamen und immer lästiger wurden, war ihm zum Glück eingefallen, dass ihm eine seiner Schwestern einmal erklärt hatte, wie schnell sich Kinder mit Benadryl beruhigen ließen. Er hatte an einem 7-Eleven angehalten, ein Kirscheis und eine Flasche des Antiallergikums gekauft, und kurz nachdem Emily ihr medizingetränktes Eis gegessen hatte, war sie tief und fest eingeschlafen.
Erst dann hatte er seinen Erfolg gemeldet. Natürlich bekam er kein Lob für das, was er geleistet hatte, aber er meinte am anderen Ende der Leitung tatsächlich ein erleichtertes Aufatmen zu hören. »Probier aus, ob Coburn ans Handy deines Bruders geht. Dann regelst du alles Weitere.«
Inzwischen war alles arrangiert, und er brauchte nur noch den vereinbarten Zeitpunkt abzuwarten. Er schaute wieder nach vorn, denn er brachte es nicht mehr über sich, in Emilys Engelsgesicht zu blicken und sich einzugestehen, was für ein Ekel er war, ihr Vertrauen derart auszunutzen. Das hier war Emily, Herrgott noch mal. Eddies Kind. Ihren Vater hatte er schon umgebracht. Jetzt würde er auch noch ihre Mutter umbringen müssen. Dass er einmal ein süßes kleines Mädchen wie Emily zum Waisenkind machen würde, hätte er nie geglaubt.
Er fragte sich, wie er so tief hatte sinken können, ohne es überhaupt zu merken. Inzwischen steckte er so tief im Dreck, dass nicht einmal mehr ein Lichtschimmer zu sehen war.
Er hatte sich für diesen Weg entschieden, und nun war es zu spät, um noch umzukehren. Ursprünglich hatte er es für einen Geniestreich gehalten, sich alle Schlupflöcher zu verschließen. Damals hatte er sein altes Leben abgestreift wie eine Schlange ihre alte Haut. Er hatte es sattgehabt, ständig vor seiner Kundschaft und seinen gierigen Geldgebern buckeln zu müssen, und darum dem Geschäft mitsamt seinen Kunden den Rücken zugekehrt, um sich einem Leben voller Abenteuer und Gewalt zuzuwenden. Wie hatte er es anfangs genossen, endlich andere unter Druck setzen, sie einschüchtern oder notfalls umbringen zu können.
Doch im Rückblick erkannte er, dass die Tage auf seinem Angelboot viel weniger kompliziert gewesen waren als sein Leben heute. Die Arbeit war zwar anstrengend gewesen, und sein jeweiliges Einkommen hatte von zahllosen Faktoren abgehangen, die sich seiner Kontrolle entzogen hatten, dennoch erinnerte er sich inzwischen so nostalgisch an jene Zeit, dass es schon an Sehnsucht grenzte.
Aber als er auf die dunkle Seite der Macht gewechselt war, hatte er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, den er nicht wieder auflösen konnte. Es gab keinen Neustart. Und keinen Rückweg in sein altes Leben.
Auch seine grandiose Idee, selbst die Leitung der Organisation zu übernehmen, war letzten Endes nicht mehr als ein Hirngespinst. Wem wollte er damit etwas vormachen? Dazu würde es nie kommen. Selbst wenn er den Mut aufbrachte, einen Versuch zu starten, würde er bestimmt alles verpatzen und dabei tödlich scheitern.
Nein, er würde auf dem eingeschlagenen Weg bleiben und ihn bis ans bittere Ende gehen.
Aber bevor es für ihn ans Bezahlen ging, ob nun in zwanzig Jahren oder zwanzig Minuten, würde er sich an Lee Coburn rächen, der seinen Bruder erschossen hatte.
Sobald Doral aufgelegt hatte, wählte Coburn die Nummer von Toris Haus am See und landete auf dem Anrufbeantworter.
»Hast du Toris Handynummer?«, fragte er Honor in der Hoffnung, dass Tori seine Anweisungen missachtet und den Akku ihres Handys wieder eingesetzt hatte.
Sie nahm die Hände vom Mund. Ihre Lippen waren weiß, so fest hatte sie ihre Finger daraufgedrückt. Ihr Mund bewegte sich kaum, während sie die Nummer aufsagte.
Auch diesmal landete er sofort auf der Mailbox. »Verflucht!«
Bebend fragte sie: »Coburn? Ist Emily noch am Leben?«
»Wenn er sie getötet hätte, hätte er nichts mehr, womit er uns unter Druck setzen kann.«
Er sah ihr an, dass sie das zu gern glauben wollte. Er wollte es zu gern glauben.
Sie schluchzte abgehackt. »Hält er sie in dem Haus gefangen?«
»Es klang, als säße er im Auto.«
»Glaubst du, er hat Tori …« Sie konnte das Wort nicht aussprechen und stieß stattdessen ein Wimmern aus.
Coburn wählte die 911 und nannte der Frau in der Notrufzentrale die Adresse von Toris Haus am See. »Dort wurde eine Frau überfallen. Schicken Sie die Polizei und einen Krankenwagen hin. Haben Sie verstanden?« Er wartete ab, bis die Frau die Adresse wiederholt hatte, legte aber auf, bevor sie weitere Fragen
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