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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
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hört sich einfach an, war aber eine verdammt mühsame Forschungsarbeit, was man daran erkennen konnte, daß ich zu keinem Ergebnis kam. Normalerweise muß man nicht lange überlegen, ob jemand schön ist oder häßlich. Man weiß es einfach, ohne es formulieren zu müssen, und es ist auch nicht der Schlüssel zu den Mysterien einer Person. Die äußere Erscheinung ist nur eines von vielen Rätsel und nicht einmal das größte.
    Christas Fall lag anders. Sie hatte einen herrlichen Körper, über ihr Gesicht allerdings ließ sich unmöglich eine Aussage treffen. Anfangs überstrahlte sie alles, und nicht der leiseste Schatten eines Zweifels konnte diesen Eindruck verdunkeln: Sie mußte einfach die Schönste sein, ihre Augen sprühten tausend Funken, ihr Lächeln verlieh ihrer Umgebung Glanz, ein unbegreifliches Leuchten ging von ihr aus, alle Welt war in sie verliebt. Bei einer so verführerischen Person kam einfach niemand auf die Idee, sie könnte häßlich sein.
    Außer mir. Ich war die einzige, der Christa, ohne es zu bemerken, tagtäglich ihr Geheimnis enthüllte: das Gesicht der Antichrista, der nichts daran lag, mir zu gefallen, weil ich für sie weniger als nichts war. Wenn sie mit mir allein war, war sie kaum wiederzuerkennen. Der leere Blick verriet, wie klein ihre wäßrigen Augen waren, dem Hals fehlte jegliche Anmut, ihr erloschenes Gesicht entblößte derbe Züge, schmale Lippen und eine niedrige Stirn, an der sich die Grenzen ihrer Schönheit und ihres Geistes ablesen ließen.
    Eigentlich benahm sie sich mir gegenüber wie eine Frau, die nach vielen Ehejahren zu Hause nur noch in einem scheußlichen Kittel, mit Lockenwicklern und verkniffener Miene herumläuft, ohne sich vor ihrem Mann zu genieren, und das schön gewellte Haar, das verführerische Kleid und den Schmollmund für die Öffentlichkeit aufspart. Wenigstens kann sich der Mann damit trösten, dachte ich voller Bitterkeit, daß er sich an die Zeit erinnert, wo ein hinreißendes Geschöpf seine Aufmerksamkeit zu erringen suchte. Ich dagegen hatte nur zweimal ein flüchtiges Lächeln bekommen, das war’s. Warum sollte sie sich auch um eine Idiotin wie mich bemühen?
    Doch kaum kam jemand anderer herein, vollzog sich in Sekundenbruchteilen eine atemberaubende Metamorphose: Die Augen begannen zu leuchten, die Mundwinkel gingen nach oben, die Miene hellte sich auf und ließ die schweren Züge feiner erscheinen, kurz, das Antlitz der Antichrista verschwand, und an seine Stelle trat ein bezauberndes Mädchengesicht, frisch, offen und ungetrübt, der Archetyp der eben erblühten Jungfrau, dies Ideal aus Gewitztheit und Zerbrechlichkeit, das die zivilisierte Welt erfand, um sich über die Häßlichkeit der Menschen zu trösten.
    Die Gleichung lautete folgendermaßen: Christa war so schön wie Antichrista scheußlich. Und das war keinesfalls übertrieben. Die Maske der Verachtung, deren ich als einzige teilhaftig wurde, war so abscheulich wie das, was sie ausdrückte: Du bist nichts, du verdienst mich gar nicht, du kannst dich glücklich schätzen, daß du mir als Fußabtreter der Zimmergemeinschaft dienen darfst.
    Anscheinend gab es in ihrer Seele einen Schalter, der ein schnelles Umschalten zwischen Christa und Antichrista erlaubte; eine Zwischenstellung gab es nicht. Und ich fragte mich ständig, was On und Off miteinander gemeinsam hatten.
     
    Die Wochenenden waren meine Befreiung. In Erwartung des allwöchentlichen Grals lebte ich auf den Freitagabend hin: Da kehrte die Intrigantin nach Malmédy zurück.
    Ich warf mich aufs Bett, das wieder mir gehörte, und entdeckte jedesmal wieder den größten Luxus der Welt: ein Zimmer für mich allein, ein Hort himmlischen Friedens. Ich brauchte meinen Traumraum wie Flaubert seinen Schreiraum: ein Zimmer, in dem nichts und niemand das grenzenlose Streifen meines Geistes behinderte und dessen einziger Schmuck das Fenster war – denn durch ein Fenster hat man seinen Teil des Himmels. Was konnte es Schöneres geben?
    Mein Bett – das Christa okkupiert hatte – stand so, daß man von ihm aus den Himmel sah. Ich konnte stundenlang darauf liegen, das Gesicht ein wenig seitwärts gewandt, um meinen Teil von Wolken und Blau zu betrachten. Die Besatzerin, die mein Lager in ihren Besitz gebracht hatte, sah nie aus dem Fenster. Sie hatte mir umsonst mein kostbarstes Gut geraubt.
    Ich will nicht undankbar sein: Es wäre ungerecht zu leugnen, daß Christa mich den Wert des Geraubten nur um so höher schätzen lehrte:

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