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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
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brannte: Detlev. Er mußte unglaublich schön sein – wie David Bowie mit achtzehn. So stellte ich ihn mir jedenfalls vor. Um ihn rankten sich meine Phantasien vom idealen Mann: Er schien mir der einzige, in den ich mich hätte verlieben können.
    Ich hatte Christa einmal gebeten, mir ein Foto von ihm zu zeigen.
    »Hab ich nicht«, sagte sie. »Fotos sind blöd.«
    Diese Antwort aus ihrem Munde verwunderte mich, hatte sie doch die Wände meines Zimmers mit den Porträts ihrer Idole tapeziert. Wahrscheinlich wollte sie Detlev nur für sich behalten.
    Mit Worten war sie weniger geizig, aber sie konnte nicht gut erzählen, fand ich. Sie berichtete, wann sie aufgestanden waren und was sie gegessen hatten. Anscheinend war ihr nicht klar, wie man sich einem geheiligten Thema nähert. Sie verdiente Detlev gar nicht.
     
    Christa nahm mich jetzt öfter zu Studentenpartys mit. Alle verliefen nach dem gleichen Schema, und jedesmal wiederholte sich das Wunder: Ein ganz normaler Typ wollte etwas von mir.
    Übers Küssen ging es allerdings nie hinaus. Immer wenn die Sache auszuufern drohte, fand Christa, es sei an der Zeit zu gehen, und ich folgte ihr widerspruchslos. Ich muß jedoch gestehen, daß ihr tyrannisches Gebaren mir ganz gut in den Kram paßte, weil ich nicht recht wußte, ob ich Lust auf mehr hatte oder nicht. Mein Kopf war da genauso verwirrt wie mein Körper.
    Aber Knutschen fand ich immer gut. Ich war fasziniert und begeistert von dieser speziellen Möglichkeit des Kennenlernens, ohne miteinander zu sprechen.
    Alle küßten schlecht, aber jeder auf seine Weise. Das wußte ich damals noch gar nicht. Ich fand es normal, wenn meine Nase triefte wie nach einem Regenguß oder mein Mund sich so pelzig anfühlte, als hätte ich zuviel getrunken. Die Gebräuche der Eingeborenen im Land der Zungenküsse konnten mich nicht schockieren.
    Die Namensliste in meinem Kopf wurde immer länger: Renaud – Alain – Marc – Pierre – Thierry – Didier – Miguel … eine erfreuliche Anzahl von Jungen, denen meine unzähligen Behinderungen gar nicht aufgefallen waren. Ich bin mir ganz sicher, daß keiner von ihnen auch nur die geringste Erinnerung an mich bewahrt hat. Wenn sie gewußt hätten, was jeder einzelne von ihnen mir bedeutete! Dank ihrem banalen, harmlosen Tun ließen sie mich – für den Augenblick eines Kusses – daran glauben, daß ich möglich war.
    Nicht etwa, weil sie so galant, zärtlich, aufmerksam oder auch nur höflich gewesen wären. Ich war von einer Frage besessen, die ich einem von ihnen – aber welchem? sie waren alle so austauschbar – auch stellte: »Warum küßt du mich?«
    »Weil du nicht häßlicher bist als andere«, gab er mir achselzuckend zur Antwort.
    Ich kenne genügend Mädchen, die den Holzklotz dafür geohrfeigt hätten. Für mich war »nicht häßlicher als andere« zu sein ein großartiges Kompliment, mehr, als ich mir selbst in meinen kühnsten Träumen auszumalen wagte.
     
    »Dein Liebesleben ist ja ganz schön öde«, bemerkte Christa nach einer Party.
    »Ja«, bestätigte ich brav.
    Ich fand das ganz und gar nicht, im Gegenteil, im Grunde meines komplexbeladenen Herzens jubilierte ich über die unglaublichen Dinge, die mir widerfuhren. Aschenputtel war sicher nicht so aufgewühlt wie ich, als es um Mitternacht den Ball verließ. Ich war der glücklichste Kürbis der Welt.
    Aber so gut ich meine Freude auch verbarg, Christa witterte sie und schickte sich an, sie zu zerstören.
    »Du bist auch leicht zu haben; ich hab noch nie gesehen, daß du mal einen nicht wolltest«, sagte sie.
    »Das bißchen Knutschen!« gab ich zurück.
    »Und das reicht dir?«
    Ich fand das schon ziemlich viel, das konnte ich Christa aber nicht sagen, also sagte ich: »Ich bin eben doch nicht so leicht zu haben.«
    »Doch, doch, du bist leicht zu haben«, beharrte sie. »Spielchen kannst du dir gar nicht leisten.«
    »Ach nein?«
    »Nein, weil du sonst gar keinen abkriegst.«
    Ich konnte nicht begreifen, was sie dazu trieb, mir solche Dinge ins Gesicht zu schleudern.
    »Einmal mußt du doch ins kalte Wasser springen. Mit sechzehn noch Jungfrau, das ist eine Schande!«
    Das mindeste, was man über Christas Verhalten mir gegenüber sagen konnte, war, daß es widersprüchlich war. Sie riß mich doch immer aus den Armen irgendeines Jungen, wenn es gerade spannend wurde! Andererseits ließ sie keine Gelegenheit verstreichen, mir meine Jungfräulichkeit unter die Nase zu reiben. Und ich konnte mich nicht wehren,

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