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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
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weil ich selbst nicht wußte, was ich wollte. Hätte ich gewollt, wenn Christa nicht gewesen wäre? Ich hatte keine Ahnung.
    Sehnsüchte hatte ich viele, manche so weit wie der Himmel. Doch was war mein Begehren? Da stocherte ich im Dunkeln. Manchmal versuchte ich mir körperliche Handlungen mit Jungen vorzustellen: War es das, was ich wollte? Woher sollte ich das wissen? Ich fühlte mich wie eine Blinde im Land der Farben. Vielleicht war ich einfach nur neugierig.
    »Dein Fall ist mit meinem nicht zu vergleichen«, sagte ich zu Christa. »Du hast Detlev.«
    »Dann nimm dir ein Beispiel und such dir auch was Ernsthaftes, statt mit dem Erstbesten rumzumachen.«
    Such dir was Ernsthaftes! Die Frau hatte wirklich Humor. Warum nicht gleich den Märchenprinzen, wenn wir schon dabei waren? Außerdem – was hatte sie gegen den Erstbesten? Ich mochte ihn. Ich war ja auch die Erstbeste.
    Christa schien etwas von meinem inneren Monolog zu ahnen.
    »Hörst du mir überhaupt zu, Blanche?« fragte sie.
    »Ja, danke für deinen Rat, Christa.«
    Sie wunderte sich gar nicht, daß ich mich bei ihr bedankte. Das war die einzige Haltung, die ich ihr, der Besatzerin, gegenüber einnehmen konnte: die totale Unterwerfung. Aber das brachte mich nicht um. Und ihre gemeinen Sprüche konnten dem Rauschzustand, in den mich der Kuß des Erstbesten versetzt hatte, glücklicherweise nichts anhaben. Meine kleinen Freuden waren eine uneinnehmbare Festung.
    Wenigstens erzählte sie meinen Eltern nichts mehr von meinen Dummheiten. Das war mein einziger Sieg.
     
    Manchmal machte ich mir Vorwürfe, daß ich Christa nicht mochte. Dank ihr gab es mich überhaupt erst an der Uni. Die meisten Studenten weigerten sich zwar, meinen Vornamen zu kennen, und nannten mich »Christas Freundin« oder »Christas Kollegin«. Das war nur eine Scheinidentität, aber immerhin besser als nichts. Manchmal ließ sich sogar einer dazu herab, das Wort an mich zu richten, etwa um zu fragen: »Hast du Christa gesehen?«
    Ich war der Trabant Antichristas.
    Ich träumte von einem Seitensprung. Im Hörsaal hielt ich Ausschau nach einem Mädchen, das genauso verlassen war wie ich.
    Es gab da eine Sabine, die mir geeignet erschien. In ihr erkannte ich mich wieder. Sie trug ein solches Unbehagen mit sich herum, daß sie immer allein war, weil niemand bereit war, ihre Beklemmung mit ihr zu teilen. Mit den flehenden Augen einer hungrigen Katze blickte sie die anderen an; doch niemand sah sie. Schon nahm ich es mir übel, daß ich sie nie angesprochen hatte.
    Eigentlich tragen Menschen wie Sabine und ich selbst schuld an ihrem Los. Statt aufeinander zuzugehen und sich gegenseitig zu trösten, lieben sie das Unerreichbare – attraktive, strahlende Wesen wie Christa, die meilenweit entfernt sind von ihren Komplexen. Und dann wundern sie sich, wenn ihre Freundschaften zerbrechen, als ob solche Paarungen zwischen Panther und Maus, zwischen Sardine und Hai jemals funktionierten.
    Ich beschloß, nur noch angemessen zu lieben. Also sprach die Maus zur Sardine: »Hallo, Sabine! Hast du zufällig bei den letzten Vorlesungen mitgeschrieben? Mir fehlen da nämlich ein paar Sachen.«
    Ein verschreckter Blick aus angstgeweiteten Augen. Ich dachte, sie hätte mich vielleicht falsch verstanden, und wiederholte meine Frage. Sie schüttelte heftig den Kopf.
    »Du bist aber dagewesen«, bohrte ich. »Ich hab dich doch gesehen.«
    Gleich würde sie in Tränen ausbrechen. Ich hatte sie gesehen – das war mehr, als sie ertragen konnte.
    Mein Einstieg war nicht sehr gelungen, begriff ich jetzt. Und fing noch einmal anders an.
    »Die Veranstaltungen von Wilmots sind aber auch echt langweilig!« sagte ich.
    Ich fand das gar nicht; Wilmots war einer unserer besten Professoren. Ich wollte mich nur ein bißchen einschleimen.
    Mit gramverzerrtem Gesicht schloß Sabine die Augen und legte sich eine Hand auf die Brust; anscheinend hatte sie gerade Herzrasen. Womöglich, dachte ich, war es reine Nächstenliebe, daß niemand sie ansprach.
    »Geht’s dir nicht gut?« fragte ich. »Hast du ein Problem?«
    Es war eine Dummheit, ihr helfen zu wollen.
    Die Kiemen der Sardine bebten vor Entsetzen. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und piepste kläglich wie eine Zwölfjährige: »Was willst du von mir? Laß mich in Ruhe!«
    Ihr empörter Blick warnte mich, daß sie bereit sei, jedes erdenkliche Mittel einzusetzen, falls ich mit meinem Angriff fortfuhr, zum Beispiel mit der Schwanzflosse wedeln und ganz viel Staub

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