Boeses mit Boesem
Tageshonorar ging. Die meisten Leute, die zu mir kamen, wurden von irgendeiner Misslichkeit getrieben, und die zusätzliche Ausgabe war dann fast schon egal. Dass ich den Klienten kannte und mich generell bei Vermissten etwas unwohl fühlte, erklärte einen Teil meines Unbehagens, aber nicht alles.
Sosehr ich sie auch hasste, Untreue-Fälle hatten auch ihr Gutes. Wenn ich auftauchte, war die Hoffnung schon dabei, |76| sich zu verabschieden. Die Frauen (es waren fast immer Frauen) waren entweder untröstlich oder rachsüchtig, je nach Stimmung. Manchmal richteten sie ihre Wut gegen jeden in ihrer Nähe, der einen nicht lizenzierten Penis trug. Tränen und Gehässigkeit perlten gleichermaßen von mir ab. Sie waren zur Gewohnheit geworden und bewirkten keine Verachtung, sondern ließen mich eher abstumpfen.
Bei Vermissten sah das anders aus. Manche Klienten suchten nach ihren Expartnern. Normalerweise ging es um Kindesunterhalt oder den Unterhalt für die geschiedene Frau, aber ich musste immer überprüfen, dass es kein Kontaktverbot gab. Weggelaufene Kinder waren am schlimmsten. Die Eltern empfanden Angst um die Vermissten, Wut, weil sie weggelaufen waren, und Scham, weil sie so fühlten. All diese unterdrückten Emotionen waren ein giftiges Gemisch, aber doch leichter zu ertragen als die Hoffnung, die ihnen aus allen Poren sickerte. Alles in allem zog ich Versicherungsbetrug vor. Da konnte ich mir beinahe einreden, ich erwiese der Allgemeinheit einen Dienst.
»Haben Sie ihn als vermisst gemeldet?«
»Ja.«
»Wann war das?«
»Ich bin zur Polizei gegangen, nachdem der Hausverwalter mich nicht in Isaacs Wohnung gelassen hatte. Die Polizisten waren überhaupt keine Hilfe. Ich habe ihnen alles über Isaac erzählt, aber sie haben mir nicht geglaubt. Sie waren zu höflich, um es zu sagen, aber sie waren der Meinung, ich erfinde die Sache.«
Es überraschte mich nicht, dass die Polizei keine Großsuche eingeleitet hatte. Faye war auf die Wache gekommen und hatte sie gebeten, jemanden zu suchen, den es nach ihren Unterlagen gar nicht gab. Als der Computer bei der Eingabe von Isaacs Namen nichts ausgespuckt hatte, hatte der glücklose Detective natürlich geglaubt, Faye sei verrückt und er |77| solle einfach nur hinter der Wunscherfüllungsfantasie einer psychisch gestörten jungen Frau herjagen.
Tausende von Menschen wurden jedes Jahr vermisst gemeldet – die meisten von ihnen Jugendliche – und nur ein Bruchteil der Fälle endete wenn nicht glücklich, so doch wenigstens ohne den Verdacht einer Trickserei. Eine Menge Erwachsene verschwanden, weil ihnen ihr altes Leben einfach nicht gefiel. Besonders jetzt, wo man für eine Scheidung den Beweis entweder der Untreue oder der Geisteskrankheit oder der Homosexualität brauchte, kam das immer öfter vor. Wer bei einem Job, den er hasste, das Ticken der Uhr verfolgte, nur um zu einer Familie zurückzukehren, die er verabscheute, konnte leicht auf den Gedanken kommen, in den Wagen zu steigen, seiner üblichen Ausfahrt den Stinkefinger zu zeigen und in eine strahlende Zukunft zu fahren, die durch keinerlei Arbeitstage oder Kindesunterhaltszahlungen getrübt war.
Natürlich ging es nie so aus. Im Zeitalter des Internets konnte man jemanden in einer durchschnittlichen Mittagspause aufspüren, wenn man den richtigen Zugang hatte. Jetzt, da die Fingerabdrücke und die DNA jedes Amerikaners gespeichert waren, fanden die meisten Kriminalbeamten einen Vermissten mit links. Wenn die Polizei aber jemanden aufspürte, der volljährig war und keinen Kindesunterhalt schuldete, musste sie dessen Privatsphäre respektieren und ihn in Ruhe lassen. An diesem Punkt kamen dann oft Schnüffler wie ich ins Spiel.
»Sie haben anderthalb Wochen gewartet, bevor Sie ihn vermisst gemeldet haben?«
Ich brauchte nicht deutlicher zu werden. »Ich weiß, es klingt sonderbar, dass ich so lange gewartet habe. Aber Isaacs Job hielt ihn manchmal für Wochen am Stück von hier fern, verstehen Sie. Normalerweise gab er mir aber Bescheid, wenn er einen solchen Auftrag bekam, damit ich mir keine Sorgen machte. Die erste Woche sagte ich mir, dass etwas |78| ihn aufgehalten haben musste und er keine Zeit hatte, mich zu informieren.«
Sie flehte mich gewissermaßen um Nachsicht an. Wenn jemand verschwindet, betrachten die Menschen seiner Umgebung die Vergangenheit plötzlich mit dem kritischen Blick eines Richters. Die Kabbeleien und kleinen Enttäuschungen des Alltags werden durch die angestrengte Suche
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