Boeses mit Boesem
sie?«
»Reine Neugier«, antwortete ich. »Ich hatte mich gefragt, wie viele von ihnen noch leben.«
Aftergoods Schweigen war beredt.
»Ich werde Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen«, sagte ich und stand auf. Ich ließ oft meine Karte da, wenn ich Leute befragt hatte. Normalerweise landete sie im Müll oder geriet zwischen die Sofakissen, aber hin und wieder kam es doch einmal vor, dass jemand zum Telefon griff. Es lohnte sich also allemal. In diesem Fall sparte ich mir allerdings die Mühe: Aftergood war vollkommen klar, wer ich war, und falls er irgendetwas wusste, würde er mich niemals anrufen.
»Würden Sie Isaac bitte ausrichten, dass er mich anrufen soll, falls Sie ihn finden?«, bat Aftergood. »Wir machen uns alle große Sorgen um ihn.«
Ich nickte und ging zur Tür. Aftergood ließ mich nicht sehr weit kommen.
»Wann wandern Sie nach Israel aus?« Sein Tonfall war der eines freundlichen Geplauders über den nächsten Urlaub, aber die Frage war ungefähr so harmlos, wie wenn das KGB sich nach jemandes Gesundheit erkundigt.
»Bald«, erwiderte ich. Es war eine automatische Antwort. Noch vor einem Jahr hätte ich ihm gesagt, das ginge ihn einen Dreck an, aber so freizügig ging ich mit meiner Meinung inzwischen nicht mehr um. Mein Name stand auch so schon auf genug Listen. »Ich muss hier noch einige Dinge erledigen, und Isaac zu finden ist das Wichtigste davon.« Der Umzug |124| ins Heilige Land galt immer noch als freiwillig. Ich hatte aber Geschichten über Rechnungsprüfungen, Kreditüberprüfungen und sogar Anrufe vom FBI bei Juden gehört, die ihre Entscheidung zu bleiben ein bisschen zu unverblümt äußerten. Die bisher vom Zuckerbrot verborgene Peitsche kam langsam zum Vorschein. Ein einziger Anruf von einem Mann wie Aftergood konnte dafür sorgen, dass all die bürokratischen Fäden und Fallstricke sich zu einer Schlinge um meinen Hals zusammenzogen. »Wenn ich jetzt nach Israel ginge, hätte ich das Gefühl, einen Kameraden im Stich zu lassen.«
Aftergood nickte, aber mein Appell an den Soldaten in ihm vertrieb nicht diesen Blick aus seinen Augen. »Ich war schon viele Male in Israel. Es ist ein wunderbares Land, so voller Verheißung. Ich führe jedes Jahr eine Reisegruppe der Kirchengemeinde dorthin. Vielleicht treffe ich Sie ja nächstes Mal dort, Felix.«
»Vielleicht.«
Ich machte die Tür auf und stieß auf die beiden Söhne Davids, die davor standen. Sie lächelten. Ich lächelte zurück.
|125| 6
Als ich den unter dem Namen Tony Scalia geborenen Mann kennenlernte, hatten alle ihn »Judge« genannt. Wir dienten monatelang zusammen in Teheran, aber seinen richtigen Namen erfuhr ich erst, als ich versehentlich seine Post erhielt. Falls er noch immer für Titan arbeitete, würde er regelmäßig am New Yorker Firmensitz in der Centre Street vorbeischauen. Es wäre jedoch am besten für uns beide, wenn ich nicht direkt an ihn herantrat. Durch meine Gewohnheit, meine Nase ständig in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken, war ich ein paarmal mit Titan zusammengestoßen und das hatte der Firma gar nicht gepasst. Einer ihrer hochrangigen Manager hatte mir persönlich mit Körperverletzung gedroht, sollte er mich je an einem Ort antreffen, den die Firma bewachte. So verführerisch es auch war, in den Firmensitz zu spazieren und mit Scalias Namen um mich zu werfen, hatte ich doch einen anderen Plan.
Einer der beliebtesten Orte für Titan-Angestellte, Dampf abzulassen, war Petros Sportlerimperium am Franklin Place. Vorne fand man auf tausend Quadratmetern Ausrüstungsgegenstände für den modernen Jäger. Der hintere Teil wurde von einer Schießanlage eingenommen. Ich ging gegen eins hin, mit der Absicht, ein kleines Schießtraining einzulegen, während ich darauf wartete, dass Scalia hoffentlich auftauchen würde. Stattdessen war er bereits da und zielte an |126| Schießstand drei mit einer .380 Selbstladepistole auf seine Pappdämonen.
Ich wartete darauf, dass Scalia sein Magazin leer geschossen hatte. Er traf zehn Mal ins Zentrum des Pappkameraden und zweimal in dessen Kopf. Dann setzte er seine Waffe ab und lehnte sich mit gesenktem Kopf gegen die Schießtheke. So verharrte er eine Weile. Ich wollte gerade etwas sagen, als er seinen Gehörschutz herausnahm und sich umdrehte.
»Strange«, sagte er.
»Hallo, Judge.«
»So hat mich seit zehn Jahren keiner mehr genannt.« Tony wirkte weder überrascht noch erfreut, mich zu sehen. Er lehnte sich gegen die Theke und sagte
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