Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
zusammen. Von Zufällen ist nur zu sagen, dass sie vorherbestimmt sind.«
»Wenn Sie so wollen, Herr Pfarrer, dann lege ich das ebenso aus wie Sie.« Ich hantierte mit Kluntje und Teegeschirr herum und fuhr fort: »Die Kripo sucht nach Gründen. Ich kenne keine.«
Der Pastor langte nach einer weiteren Zigarette. Er blies den Rauch von sich, sah mich an und sagte: »Enno war Ihr Schüler. Gut, er ist ausgeflippt. Er beging Selbstmord. Wir müssen ihn vergessen.«
Ich hatte es satt, immer nur an Gräber und den Tod zu denken, deshalb sagte ich: »Herr Pfarrer, genau das ist meine Absicht.«
Nervös drückte er die Zigarette aus. Seine Augen musterten mich nachdenklich. »Was sagen Sie dazu?«, fragte er und seine Stimme klang härter als bisher. Er griff in seine Jacke und legte zwei Schulhefte auf den Tisch. Es waren die genormten DIN-A5-Schreibhefte, wie sie in der Grundschule benutzt wurden. Kindlich naiv saßen die kleinen Namensschilder auf dem Pappeinband. »Lesen Sie«, forderte er mich auf.
Für Sekunden blickte ich unentschlossen auf die Hefte. Eines war rot, das andere erdfarben braun. Die Etiketten waren beschriftet, aber es gelang mir nicht, aus meiner Distanz die steile, männliche Schrift zu entziffern. Über Berumersiel hatten sich erneut dunkle Wolken gehäuft, die nur wenig Licht in den Turm warfen.
Ich langte nach dem roten Heft, führte es vor meine Augen und las: »Hayo Wiefelkamp, geb. 12. 07. 1981, gest. Dezember 2001. Todesursache: Selbstmord.«
Überrascht schaute ich den Pfarrer an. »Mein Kollege vom Technischen Gymnasium hat mir sein Grab gezeigt.« Ich fühlte in mir eine aufkommende Unruhe, legte das Heft ab, ohne es gelesen zu haben, und nahm das braune auf. »Arno Zittinga, geb. 1982, gest. Januar 2002. Todesursache: Selbstmord.«
»Auch diesen Namen habe ich auf dem Stein des Familiengrabes gelesen«, sagte ich und nahm eine Zigarette aus seiner Packung, ohne ihn zu fragen. Er beobachtete mich und gab mir Feuer. Seine Augen waren klein, seine Gesichtszüge verrieten die Spannung. »Das dritte Heft fehlt«, sagte ich.
Der Pastor nickte nur. Er trank den restlichen Tee und sagte: »Es ist in Arbeit.«
»Gibt es Gemeinsamkeiten?«, fragte ich.
»Ja und nein«, murmelte er. »Ich kann Ihnen nicht zumuten, beide Hefte jetzt zu lesen. Sie würden Ihre Fragen danach selbst beantworten können.«
Ich ließ die Seiten eines der Hefte an meinem Daumen vorbeiflippen, stoppte gelegentlich den Fluss der Seiten und bemerkte, dass sie sauber geführt, Lebensdaten und Ereignisse bis zum Tod enthielten.
»Lassen wir das dabei bewenden. Ein andermal«, sagte er.
Ich fragte: »Kennt der Kommissar die Kladden?«
Der Pastor winkte ab. »Selbst wenn ich sie ihm gäbe, wäre es fraglich, ob er mehr herauslesen könnte als ich.«
Ich schaute auf die Uhr.
»Müssen Sie weg?«, fragte er mich.
»Nein«, sagte ich. »Aber ich will meine Küstenfahrt fortsetzen.«
Der Pastor grinste. »Meine Frau ist zum Kaffeeklatsch. Die Frauen von Upplewarf treffen sich alle vier Wochen und besprechen ihre Probleme, dabei ist sie voll eingespannt. Sie unterrichtet an der Grundschule und gibt kostenlose Elternberatung. Und lässt mir Zeit für solche zufälligen Begegnungen.«
Ich stand auf und hielt dem Pfarrer meine Hand entgegen. »Wenn Sie Vertrauen genug in mich setzen, dann lassen Sie mir doch die Hefte einmal zukommen. Für heute reichen mir die Anregungen.«
»Das lässt sich machen. Wie wäre es, wenn wir uns an einem der kommenden Abende treffen würden?«, fragte er.
»Gut«, sagte ich. »Ich schlage den Dienstagabend vor.«
»Das lässt sich machen, dann leitet meine Frau das Frauenturnen in Upplewarf.« Er grinste.
Ich verließ ihn und bezahlte unten in der Kombüse des »Kapitänsblick« seinen und meinen Tee. Wenig später passierte ich das Sieltor und lenkte meinen Wagen wieder auf die Küstenstraße. Direkt vor Burdiek musste ich die Abzweigung nach Upplewarf nehmen.
Ich hatte ein Ziel. Das Verkehrsaufkommen war angestiegen, aber im Vergleich zu Großstadtverhältnissen nicht sonderlich bemerkenswert. In Burdiek an der Kreuzung warf ich einen flüchtigen Blick auf das kleine weiße Haus, das, zwischen einem Hotel und einer Apotheke eingekeilt, putzig mit Riet gedecktem Dach vorlugte und von Erikas Freundin aus Münster bewohnt wurde.
An Erika wollte ich jetzt nicht denken. Ich fragte mich, was den Pfarrer veranlasst haben konnte, die Hefte anzulegen. Er lebte ohne Kinder, seine Frau
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