Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
der auf den Nebendeich führte, auf dem ein altes Fischerhaus stand. Unter der Bierreklame las ich »Kapitänsblick – Café und Restaurant von 1678«.
Durst, Neugierde und Langeweile reizten mich zum Besuch. Ich entdeckte ein Kleinod. Der Tresen lag zurückgezogen vor der Fensterfront, die den weiten Ausblick gestattete. Die Einrichtung entsprach einer alten Schiffskombüse vergessener Jahre. Mitten im Raum hing eine Schiffsglocke, auf deren dickem Bronzebauch »Lüttje Hörn 1842« in Setzbuchstaben stand.
Meine Schritte hallten in den leeren Raum. Ich sah die steile Wendeltreppe. Meine Hände glitten über das fettige, hart gespannte Tau, das ein Stützgeländer ersetzte. Vor mir lag der alte »Kapitänsblick«. Im runden Turm stand nur ein Tisch, um den sich eine alte Eichenbank wand. Durch kleine Scheiben ging mein Blick auf das Meer, glitt über den nicht enden wollenden Deich, erfasste die roten Dächer und Häuser vor Berumersiel und fand über Fischkutter und Hafenbecken zurück zum Ausgangspunkt.
Ich ließ mich erfreut auf die Bank nieder, genoss die Ruhe des Turmzimmers. Den Netze flickenden Kapitän konnte ich nicht erkennen, glaubte aber, dass er zur »Sirius« gehörte, deren gelben Leib ich von hier oben sehen konnte. Ein Mädchen mit derbem Gesicht, akkurat in weißer Bluse, stand auf der Treppe und schaute mich fragend an.
»Tee, ostfriesisch«, sagte ich.
Sie verschwand nach unten, während der Wind Schneematsch gegen die Fenster schmiss. Im Sommer drängeln sich hier die Touristen, dachte ich und nahm mir vor, mit Gregor den Besuch zu wiederholen. Ihm würde das Türmchen bestimmt gefallen.
Das Mädchen servierte den Tee. Sie zündete das Stövchen an, setzte das Kännchen auf die Flamme, lächelte und stellte Kluntjebecher und Sahnetopf daneben.
»Bin ich der einzige Gast?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
Eine Gewitterbö dunkelte das Zimmer ein, und durch das knirschende Geräusch der gegen die Scheiben geschleuderten Graupelschauer klang mir eine tiefe Stimme von der Treppe entgegen.
»Nein.«
Ich konnte es nicht glauben, aber er war es. Das Fräulein drückte sich an die Wand und ließ den breiten, starken Mann vorbei. Vor dem Tisch stand der Pastor von Upplewarf.
»Bringen Sie mir auch einen Tee«, sagte er zu dem Fräulein. Er setzte sich zu mir auf die Bank.
»So ein Zufall!«, sagte ich begeistert, denn ich war nun nicht mehr allein.
»Herr Beruto, vom Zufall halte ich nichts«, sagte er. »Wissen Sie, ich hatte von meiner abgeschlossenen Dörflichkeit die Schnauze voll. Meine mir anvertrauten Schäfchen sind seit Ennos Tod verschlossener denn je. Mich trieb es an das Meer. Die Sonne hatte sich kurz durchgesetzt.« Der Pastor wischte die Scheiben klar und blickte lange hinaus, als suche er dort irgendwo zwischen Grau und Schwarz nach etwas.
Ich warf einen Kluntje in meine Tasse und bereitete mir den Tee zu. Die kleinen, heißen Schlucke taten mir gut.
Das Fräulein bediente den Pastor, der den Blick nicht von den Scheiben nahm. Erst als sie über die Treppe nach unten verschwand, wandte er sich mir zu. In seiner groben Hand wirkte das Kännchen wie ein Spielzeug. Als er die Tasse hob, sagte er: »Herr Beruto, auf der Fahrt hierher habe ich auch an Sie gedacht. Der Tod des Jungen hat Sie hart getroffen. Und ich bitte um Verzeihung, aber man hört dieses oder jenes, und so wurde mir zugetragen, dass das Schicksal bei Ihnen hart zugeschlagen hat und Sie Ihre Familie verloren haben. Meine Frau ist unfruchtbar und sucht ihr Heil neben unserer Ehe in ihrer beruflichen Laufbahn. Unsere Kinderlosigkeit hat uns oft sehr bedrückt. Den Gedanken, mit einer Adoption unsere Mangelgefühle zu befriedigen, haben wir abgelegt, da man mir das als Pastor als Augenwischerei auslegen könnte. Wir lassen es bei unserem Zustand. Gott hat es so gewollt.«
Ich nippte am Tee, während er sprach, und rauchte eine seiner Zigaretten, die er mir großzügig angeboten hatte. Mein Blick suchte das Meer, während der Pastor auf den Tisch stierte und weitersprach.
»Meine Frau findet in Upplewarf genügend Sozialfälle, um die sie sich unentwegt bemüht.«
»Diese Selbstlosigkeit spricht für Ihre Frau«, sagte ich. Wir sind schlechte Zuhörer. Das beruflich notwendige dauernde korrigierende Eingreifen macht uns für Erwachsene zu lästigen Besserwissern, dachte ich. So, als habe er meine Gedanken erraten, sagte der Pastor: »Enno, unser Sportstar, und sein verrückter Tod führen uns hier
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