Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
Prachtmenschen wie Enno nur selten geboren werden. Athletisch, muskelbepackt, durchtrainiert mit dem beständigen, siegessicheren Lächeln im schönen Gesicht sah ich Enno in Badehose, im Trainingsanzug und in strammen Jeans. Er lebte nicht mehr. Die Kamera hatte für Erinnerungsfotos gesorgt.
Ein Bild rief meinen Unwillen hervor. Ich drehte mich um, sagte zu Elke, die im Sessel saß und ihre Tränen nicht verbergen konnte: »War Enno Jäger?«
»Nein«, sagte sie. »Ich habe doch bereits im Krankenhaus erzählt, dass ich annahm, er wollte die Jägerprüfung ablegen. Auf dem Bild hält er Vaters Jagdgewehr.«
Ich schaute lange auf das Foto. Enno hatte die Jagdflinte im Anschlag und legte, so meinte ich zu sehen, mit verkniffenem Gesicht eiskalt auf ein Ziel an.
Ich verließ die Bilderwand. Elke trug Jeans, die ihre gut gewachsenen Beine eng umschlossen. Der Wollpullover aus groben Maschen lag locker um ihren Oberkörper. Ihre lange dunkle Haartracht hing wie ein Schleier über der Sessellehne. Ich wagte es nicht, sie länger als eine Sekunde anzuschauen, denn die große Ähnlichkeit mit meiner verstorbenen Erika warf innere Zwiespälte in mir auf.
»Setzen Sie sich zu mir, Herr Oberstudienrat«, sagte sie, wies auf die Couch und fuhr fort: »Enno mochte Sie und schwärmte von Ihnen. Ich habe weitere Bilder in meinem Album, das ich Ihnen später zeigen möchte.«
Das Mädchen zog mich an. Ich war verwirrt, schließlich hätte sie eine meiner Schülerinnen sein können.
Ich vernahm das Tuckern eines Dieselmotors, ging an das Fenster, beugte mich über den Schreibtisch und sah, wie sich der Mercedes in Richtung Brücke entfernte.
»Meine Eltern«, sagte Elke. »Das ist ihre törichte Art zu protestieren. Ich werde bald dreiundzwanzig. Aber sie bestrafen mich mit ihrer Abwesenheit, weil ich mit Ihnen das Gespräch über Enno auf meinem Zimmer suche. Sie wollen Kaffee, Kuchen und Kontrolle. Für sie bin ich noch lange nicht erwachsen. Sie fahren jetzt zu den von Birkenhains, um dort Trost zu finden, da deren Söhne irgendwo im terroristischen Untergrund das Ansehen der alten Familie schädigen und dem weit verzweigten Adel mit aufsässigen Theorien in den Rücken fallen.«
Irgendetwas hielt mich davon zurück, mich neben Elke zu setzen, die den Sessel verlassen hatte und nun, die Beine weit von sich gestreckt, auf der Couch Platz genommen hatte. Vielleicht spürte sie meine Hemmungen, denn sie stand auf, trat an das Bücherregal, öffnete eine untere Schranktür und fragte mich: »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Dvořák auflege?«
Erst jetzt bemerkte ich den Plattenspieler und Plattenständer. »Schallplatten, keine CDs?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete sie, »Platten wirken origineller.«
Die Musik setzte ein. Elke ließ einige Takte verstreichen, dann sagte sie: »Lieder aus der neuen Welt.« Sie näherte sich mir mit strahlenden Augen und einem hinreißenden Lächeln. Ihr Körper schwang im Rhythmus der Musik. Sie kroch zu mir, drückte mich auf die Couch, schlang ihre Arme um mich und flüsterte wieder: »Lieder aus der neuen Welt.« Dann legte sie den Kopf auf meine Brust und heulte in die Musik oder genauer, sie weinte mit der Musik.
Ich unterbrach ihren Gefühlsausbruch nicht. Ihre Tränen drangen durch meinen Pullover. Ich spürte die Nässe auf meiner Haut, bewegte mich nicht und ordnete ihr schönes Haar zu einem Pferdeschwanz. Auch mich ergriff die Musik. Mit geschlossenen Augen formte meine Fantasie die Lieder der neuen Welt nach, türmte Wolkenkratzer zu riesigen Stadtgebilden zusammen, kehrte danach in die alte Welt zurück. Ich dachte an Anja und Erika und sah den Bungalow am Kanal, auf dem das Segelboot mit flatternden Segeln lag.
Wieder ein Zufall!, fiel mir erschrocken ein, denn auch meine verstorbene Frau hatte gelegentlich die Platte aufgelegt, deren tiefe Aussagen ich damals nicht verstanden hatte, wenn ich bei dieser Musik die Klassenarbeiten korrigiert hatte. Anja, Erika und Enno waren drüben. Elke und ich aber waren hier.
Als Dvořák das temperamentvolle New York verließ und sich schwermütig zurückfand zur träge fließenden Moldau, war mir klar, dass auch wir zurückmussten. Aber eine innere Macht trieb mich weg vom Gräberdenken, verscheuchte vom Wind zerfetzte Lebensbäume, vertrieb die Präludien der Orgel von Upplewarf und legte Nebelschleier über die Grabsteine der jungen Selbstmörder. Wir lebten und die Musik entzog Elke den Schmerz.
Ich zog ihr den groben
Weitere Kostenlose Bücher