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Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Titel: Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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leistete im Dorf unbezahlte Sozialarbeit, und beide waren sie voll integriert in das Gemeindeleben und zählten zu den Persönlichkeiten, die sich Ansehen und Respekt verschafft hatten. Als Mann der Kirche musste er die frevelhaften Selbstmorde verdammen und jeden Eingriff in geborenes und ungeborenes Leben als schweres Verbrechen gegen Gottes Willen auslegen. Hatten ihn die sich so kurz hintereinander ereigneten Freitode zu sehr belastet? Er kannte die jungen Männer, hatte sie getauft, konfirmiert und ihre Kindheit verfolgt, und fühlte sich von daher mit ihren Leben verbunden.
    Der Inhalt der Hefte reizte mich plötzlich.
    Die Straße verlief schnurgerade durch Wiesenlandschaften. Am Dorfkrug von Upplewarf endeten meine Ortskenntnisse. Ich überlegte, ob ich mich in der Gaststätte nach dem Weg zum Fehntjer-Hof erkundigen sollte, als ich einen alten Mann sah, der mir gebeugt mit ernsten Zügen und gelichtetem Grauhaar schleppend entgegenschritt und eine kleine Aluminiummilchkanne in der Hand hielt. Ich kurbelte das Seitenfenster nach unten, neigte mich über den Beifahrersitz und rief: »Moin!«
    Der alte Mann stutzte, kam ans Fenster.
    »Ich möchte zum Fehntjer-Hof«, sagte ich.
    Zu meiner Überraschung hellte sich sein Gesicht auf. Ich erkannte seine Freude und blickte in seine schwimmenden, wasserblauen Augen. »Da komme ich gerade her«, sagte er und hob seine Milchkanne ans Fenster. »Deputat«, sagte er stolz. »Jeden Tag bis zu meinem Lebensende. Ich war fünfunddreißig Jahre auf dem Hof.«
    »Dann kennen Sie sich ja bestens aus?«, fragte ich ihn.
    Der Alte lachte. Ich sah, dass ihm zwei Schneidezähne fehlten. In seinem unrasierten Gesicht kreuzten sich die Falten. Er steckte den Kopf durch das Fenster. »Da bin ich wie zu Hause. Ich habe die Dirn noch zu mir auf den Bock genommen, als wir die Garben mit Pferd und Wagen eingeholt haben. Damals kannten wir noch die blauen Kornblumen und den roten Mohn. ›Elke‹, habe ich zu der Lütten gesagt, ›du bist die Erntekönigin!‹ Und ich habe ihr einen Kranz aus den Blumen um die Zöpfe gelegt, die ja nun nur noch selten sind. Nun ist die Dirn zweiundzwanzig Jahre und Studentin.«
    Ich wusste nicht, warum mir seine Worte guttaten. »Und wie steht es heute um das Glück des jungen Fräuleins?«, fragte ich ihn.
    Listige Krähenfältchen bildeten sich um seine Augen. »Sind Sie etwa der Lehrer?«, fragte er direkt.
    Meine Überraschung war vollkommen. »Ja«, antwortete ich. »Aber nicht von der Dirn.«
    Der Alte nickte. »Ich weiß, aber von Enno. Ich habe den Jungen gerngehabt«, murmelte der Alte und fuhr fort: »Als seine Eltern verunglückt waren, ist er oft mit mir draußen gewesen auf den Äckern und Weiden. Ich habe ihn gewarnt, als er sich da auf etwas einlassen wollte. Ich bin nur ein ausgedienter Knecht. Heute gibt es keine mehr, nur noch Herren. Aber ich kenne noch den Unterschied, und wer hört schon auf einen Knecht?«
    Schlagartig bildete sich Schweiß auf meiner Stirn. Ich hatte Angst, ihn weiter zu fragen.
    Über das Gesicht des alten Mannes glitt ein breites Lächeln. Es sah entstellt aus, weil die Zahnlücken ihm das Aussehen eines Trinkers verliehen. »Meine Olsche wartet«, sagte er. »Sie meckert mit mir herum, wenn ich zu spät komme, und sie hat ja recht, ich bin ein alter verquatschter Kerl.« Der Mann zog seinen Kopf aus dem Fenster und wollte gehen.
    Ich rief: »Sie wollten mir den Weg zeigen!«
    Seine Hand wies seitlich nach hinten auf den gepflasterten Betonweg, der unauffällig in die Weiden führte.
    Seitlich lagen die nassen Wiesen. Weit vor mir sah ich durch die Autoscheibe im weiten Grün die Umrisse des Hofes. Ich dachte an den Pastor, der vom Zufall gesprochen hatte, und ich überlegte mir, was er wohl zu dem Zusammentreffen mit dem Altknecht des Hofes sagen würde.
    Die Konturen des Gebäudes schälten sich vor der grauschwarzen Wolkenwand heraus. Die wuchtige Scheune, das riesige Holztor und die sich fast bis zum Boden herabziehenden roten Dachränder verdeckten einen Teil des Wohnhauses. Links und rechts neben der Fahrbahn irritierte mich der Wassergraben, der in mir Erinnerungen an meinen Unfall weckte.
    Das Geräusch meines Golfs vertrieb Vögel, die panikartig davonflatterten, und ich wunderte mich, dass ein grauer Fischreiher auf seinen dürren Beinen ausharrte, meinen Wagen übersah und vor dem Wasser auf Beute wartete.
    Erst als der Pflasterweg über eine Brücke führte und sich zwei Gräben kreuzten, wuchs das

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