Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
saß entrückt in seinem hohen Stuhl.
Ich konnte mir aus dem Gelesenen keinen Reim machen. Sicherlich stießen die Selbstmorde auf verwandte Motive, andererseits fiel auf, dass sie alle Mitglieder des Schützenvereins waren, was aber Städter überbewerten müssen, weil die dörfliche Jugend, von den Vätern angeleitet, in das Vereinswesen hineinwächst.
Endlich blickte Gregor auf. Seine Finger fuhren durch den grauen Schnurrbart. »Das ist ja hochinteressant«, sagte er und schaute mich an.
Ich antwortete: »Da ist Enno nicht alleine.«
»Hajo, ich bin Jurist. Ob es im Sinne des Pastors geschieht, das weiß ich zurzeit nicht. Aber meine langjährige Tätigkeit in dieser Stadt hatte immer nur eine Konsequenz für mich, nämlich der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. Ich habe keine Wahl. Die Hefte gehören in die Hände des Staatsanwalts!«
Ich schaute Gregor überrascht an. »Ich weiß nicht, ob van Aaken damit einverstanden sein wird.«
Gregor legte sein Gesicht in Falten: »Aber Hajo, warum hat er die Hefte angelegt? Sein Misstrauen führte ihn doch zu dem Entschluss, das, was ihn bedrückte, niederzuschreiben. Er hat doch die Anklage erhoben!«
Mir war nicht wohl in meiner Haut. Der Pastor hatte mir vertrauensvoll seine Aufzeichnungen überlassen. Aber Gregor war Jurist und kein Pastor.
»Na gut, wenn du meinst«, sagte ich und dachte dabei an den misstrauischen Kriminalbeamten Feenwegen, der ebenfalls Ennos Selbstmord nicht als zufälligen Einzelfall akzeptieren wollte. Nun, sollte die Sache ihren Lauf nehmen.
Ich dachte an Elke, die Hand in Hand im Dorfkrug mit mir den Zug der Männer beobachtet hatte.
Gregor spürte, dass ich mit mir rang. »Hajo, die Hefte gehören dem Verfasser. Als Anwalt trage ich die Verantwortung dafür, dass ihr Vorhandensein und ihr Inhalt als Geheimnis in diesen vier Wänden bleiben.«
Ich nickte. Diese Aussage meines Freundes beruhigte mich.
Gregor fuhr fort: »Mein Beruf und mein Gewissen verlangen aber andererseits von mir, dass ich den hier aufgezeigten Zufälligkeiten auf den Grund gehen muss.« Er blickte auf die Uhr. »Machen wir dem Pastor einen Besuch«, sagte er entschlossen.
Gregor saß schweigsam neben mir. Er hielt die Schulhefte in seinen Händen. Ich fuhr den Golf im vierten Gang, während mein Fuß das Gaspedal nur leicht andrückte. Die Scheibenwischer schaufelten mir in gleichbleibendem Rhythmus den Blick auf die Straße frei, denn pausenlos tropfte der Regen vom Himmel. Trist lag die grüne Wiesenlandschaft unter der grauen Wolkendecke, die weder Anfang noch Ende erkennen ließ. Nur hin und wieder überholten mich eilige Fahrer, und ihre Autos warfen mir zusätzliches Spritzwasser gegen die Scheibe.
An diesem Spätnachmittag wirkte Upplewarf auf uns wie ein Dorf, in dem keiner leben wollte. Die nasse Straße war leer gefegt. Die Häuser mit ihren blassen Klinkern hinterließen den Eindruck, als wären sie im prasselnden Regen eingeschrumpft. Auch der Dorfkrug lag hinter dem mit riesigen Pfützen bedeckten Parkplatz tot im schäbigen Grau.
Ich fuhr die lange Dorfstraße ab, die nur von der roten Lichtreklame eines Gemischtwarenladens belebt wurde.
»Einen Moment, Gregor«, sagte ich. »Ich muss eben nach dem Weg fragen.«
Der Regen schlug mir in das Gesicht. Das Geschäft war leer. Eine Tür schwang auf, und die Kauffrau schritt mir mit watschelnden Schritten und wedelnden Armen entgegen. Ihren schweren Leib bedeckte ein weißer Kittel. Ich langte in den Drahtkorb und hielt ihr eine Schachtel Zigaretten entgegen. Sie zählte das Geld.
»Wo wohnt Pastor van Aaken?«, fragte ich. In ihr breites Gesicht zog Misstrauen. Sie musterte mich, und ich dachte: Sie könnte eine Schwester der Dorfkrugwirtin sein.
»Fahren Sie bis zur Kirche. Etwa fünfzig Meter weiter biegt ein Feldweg ab.«
»Danke«, sagte ich und rannte zum Auto.
Gregor studierte das Kirchenschiff mit dem geneigten Glockenturm vor der sich ausregnenden grauen Himmelsfläche. »Ein bedrohliches Gebäude«, sagte er. »Wie eine Endstation nach vielen Irrwegen.« Er schüttelte sich, als sein Blick oberhalb der massiven Mauerumrandung die Kreuze und Grabsteine erfasste.
»Irgendwo auf dem Warfhügel liegen Enno und die beiden Jungen, die sich besonders für den Zweiten Weltkrieg interessieren«, sagte ich und drosselte die Geschwindigkeit, um den Feldweg nicht zu verpassen.
Der einzeln stehende Bungalow war weder üppig noch bescheiden. Von den Tannen im Vorgarten tropfte der Regen. Ich
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