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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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in unserem Haus sind von Türken bewohnt, es geht also ziemlich international zu - mit ihnen, uns »Ukrainern« und den polnischen Nowatzkis. Das riecht man auch während der Essenszeiten. Da mischen sich im Treppenhaus die Gerüche …
    Ich hatte Angst, den Wecker zu überhören, wieder zu spät zu kommen, dass ich die falschen Bücher eingepackt, dass ich irgendetwas übersehen hatte. Ich überlegte mir mitten in der Nacht, was ich am nächsten Tag anziehen sollte. Es war wieder ein frostiger Tag vorhergesagt. Der rote
Fleecepulli kam nicht mehr in Frage. Keine Lust, noch einmal deswegen angemacht zu werden. Er wurde in die Tiefe des Schrankes verbannt. Mit teuren Markenklamotten konnte ich nicht dienen, also entschied ich mich für eine Art Zwiebellook, legte die Teile zurecht, eins über das andere, bis nichts mehr ging. Wieder im Bett fragte ich mich, ob ich meine Haare hochstecken oder mir erneut einen Zopf flechten sollte.
    In der alten Schule habe ich nicht ein einziges Mal nachts wegen so etwas wach gelegen. Da hab ich mir morgens die Haare gemacht, wie es mir gerade in den Sinn kam, und das angezogen, was mir als Erstes aus dem Schrank entgegenfiel.
    Also stand ich noch einmal auf und probierte an, was ich mir herausgesucht hatte - plötzlich nicht mehr sicher, ob der Zwiebellook wirklich eine gute Idee war. Er machte mich dick. Außerdem ist es eine russische Eigenart und zwar schon seit hundert Jahren, dass man alle Kleidungsstücke übereinander trägt, um nicht zu frieren. Das ist in Russland ein Arme-Leute-Look. Der Matruschka-Look. So konnte ich doch unmöglich in die neue Schule!
    Oder? Ich schlich mich ins Bad und drehte mich vor dem Spiegel.
    »O Gott, wie peinlich!«, murmelte ich und erschrak, als mir bewusst wurde, dass dies die Worte von Felicitas waren, von heute Vormittag.
    Danach lag ich wieder hellwach im Bett und grübelte.
    Immer, wenn ich mir neue Sachen zum Anziehen gewünscht hatte, kam Mama mit dem Spruch, dass ich doch den Schrank voller Klamotten hätte. Das stimmte allerdings. »Manches davon hast du überhaupt nur ein einziges Mal getragen!«

    Ja, Mama, stimmt, aber weißt du auch, warum? Weil das Sachen sind, die Oleg mitgebracht hat von seinen Touren, schaurige Klamotten aus Weißrussland. Sag Oleg, er soll aufhören, mir seinen außerirdischen Wolga-Geschmack aufzudrängen, und mir stattdessen lieber das Geld geben, damit ich mir hier davon ein paar gut sitzende Jeans kaufen kann und ein paar T-Shirts. Dann wär ich ja schon zufrieden. Aber nein, Mama, da hältst du immer schön zu ihm und bist ganz gerührt, wie liebevoll er für mich sorgt, als wäre ich seine leibliche Tochter. Und dass ich die Sachen anziehen müsste, schon aus Liebe zu Oleg. Oder zu dir, Mama... Als ich mich gerade in Rage reden wollte, fiel mir mein weißes Teil aus Angora ein, das meine Mutter mir mal gestrickt hatte. Es lag seit einem Jahr oben im Schrank, weil es viel zu kurz war und nur knapp über den Po reichte. Aber zu Jeans?
    Ich schob den Stuhl vor den Schrank und zerrte es aus dem obersten Fach. Eine Art Minikleid mit extralangen Ärmeln, die man bis über die Finger ziehen konnte. Und einem Schlauchkragen, der auch als Kapuze diente. Ich hatte das gute Stück ewig nicht angezogen, weil man es sich so schnell dreckig machte. Weiße Angorawolle ist eigentlich der Wahnsinn.
    Aber für den Erlenhof genau richtig.

    Es war, als hätte Felicitas vor dem Klassenzimmer auf mich gewartet. Sie war im Gespräch mit einem Jungen, der mir den Rücken zudrehte. Sie alberten herum, ich hörte sie lachen. Als sie mich jedoch entdeckte, brach sie das Gespräch sofort ab und schob den Jungen von sich weg. Er wandte sich einmal kurz hin zu mir und es war mir, als mache er Felicitas gegenüber noch eine Bemerkung. Aber ich war nicht
sicher. Meine Nerven waren so angespannt, wie Tentakel, die mit ihren feinen Sensoren alles aufnehmen.
    Ich weiß noch, dass ich langsamer ging und überlegte, ob sie mich wieder fertigmachen wollte, weil ich nicht so teures Zeug trug wie sie.
    Ich spürte, wie ich mich verkrampfte.
    Mit einem gemurmelten »Hallo!« wollte ich an ihr vorbei, aber sie hielt mich fest. Ihre Stimme war honigsüß.
    »Svetlana!«, sagte sie. »Warte doch. Bleib doch mal stehen. Bitte.«
    Was blieb mir übrig, ich schaute sie an.
    Sie trug an diesem Morgen ein hellblau gemustertes Seidentuch und eine dunkelblaue Bluse. Ich glaube, sie hatte sich Rouge auf die Wangen getupft oder sie mit Massagehandschuhen

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