Boeses Spiel
Prozentpunkt verbessern könne.
Sofort hörte das Kichern und Flüstern auf. Da hab ich eine richtige Schadenfreude gespürt und mich sofort voller Eifer an die Aufgabe gemacht. Heute weiß ich nicht mehr, worum es dabei ging. Herr Johnson meinte nur, dass man mit ein wenig logischem Denken sofort hinter den Trick kommen würde. Das reizte mich.
Ich brauchte genau fünfeinhalb Minuten, um die Lösung zu finden. Aber bevor ich meinen Zettel abgab, prüfte ich schnell den Rechenweg noch einmal nach und war schließlich total sicher, dass ich mich nicht geirrt hatte.
Ich trug also mein Blatt Papier nach vorn. Es waren gut sechs Minuten vorbei. Herr Johnson schaute mich erstaunt an. »Svetlana?«, fragte er. »Hast du eine Frage?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Was dann?«
Ich holte tief Luft. Legte das Blatt auf seinen Tisch, geradezu dramatisch, wie mir heute scheint, und sagte so laut und so stolz, dass ich mich anschließend hätte ohrfeigen können: »Ich bin fertig.«
Ich hörte, wie ein Stöhnen durch die Klasse ging. Das gefiel mir.
Und als hätte ich noch nicht genug angegeben, fügte ich noch lauthals hinzu: »War echt leicht, die Aufgabe.«
Herr Johnson schaute mich an. Nahm das Blatt, studierte, was ich gerechnet hatte, und legte es wieder auf den Tisch. »Du kannst dich jetzt setzen«, sagte er.
Als ich an meinen Platz zurückging, hob keiner den Kopf.
Ich war auf einmal unsicher, ob ich mich nicht doch geirrt hatte, ob die Aufgabe vielleicht doch komplizierter gewesen war als ich angenommen hatte, und ein ganz anderes Ergebnis erwartet wurde. Ich nahm also ein neues Blatt und skizzierte in aller Eile meinen Lösungsweg erneut. Aber ich kam zu keinem anderen Schluss. Was ich gerechnet hatte, musste richtig sein.
Als die zehn Minuten vorbei waren, hatte niemand sonst seinen Zettel nach vorn getragen.
Herr Johnson nahm mein Blatt und hielt es hoch.
»Wenn Svetlana, die aus der Realschule zu uns gekommen ist, innerhalb von fünf Minuten die Aufgabe lösen konnte«, sagte er, »ist es ein Armutszeugnis, dass keiner von euch es geschafft hat.«
Er bat mich nach vorn und ich musste den Lösungsweg an der Tafel aufzeigen. Hinter mir nur eisiges Schweigen.
Als ich fertig war, lächelte Herr Johnson mich an. »Gut gemacht, Svetlana, bravo.« Und an die Klasse gewandt, sagte er: »Mir scheint, ich habe hier die Zügel zu sehr schleifen lassen. Wir werden härter arbeiten müssen. Für diejenigen, die glauben, dass sie sich mit Gelächter und Gekicher durch die Stunde retten können, wird es möglicherweise ein bitteres Erwachen geben.«
So hatte ich also, ohne es zu wollen, meiner Klasse mehr Arbeit aufgebrummt. Das tat mir wirklich leid. Ich wollte es Kaspar erklären, der nach der Stunde zu mir kam und knurrte: »Danke! Das hast du ganz toll hingekriegt.«
»Hey«, rief ich, als er sich schon wieder umwandte, »ich dachte, ihr hättet so was Ähnliches schon durchgenommen und würdet eben nur ein bisschen länger brauchen...«
Er reagierte mit einem Abwinken. Es war klar, dass er
mich nicht für würdig hielt, weiter mit ihm zu diskutieren. Ich wandte mich an Marcia. »Marcia, was hätte ich denn tun sollen …?«
Marcia runzelte die Stirn. Sie sah mich an, überlegte und sagte schließlich: »Wenn du schon so gedacht hast, dann hättest du wenigstens abwarten können, ob jemand aus der Klasse die Lösung ebenfalls findet. Aber du bist offenbar eine eklige Streberin, ein ehrgeiziger Musterschüler, der bei Lehrern Eindruck schinden will. Und dafür seine eigene Klasse über die Klinge springen lässt. Wie heißt ›ekliger Streber‹ eigentlich auf Russisch?«
Ich war so fassungslos über die Feindseligkeit, die aus diesen Worten sprach, dass ich sie mit offenem Mund anstarrte.
Vor dem Mittagessen, bei dem üblichen Schminkritual im Waschraum und dem Gerede über Klamotten und Boutiquen und was IN ist und was OUT, was GEHT und was GAR NICHT GEHT, versuchte ich, Tilly meine Sicht der Dinge zu erklären. Aber Tilly hatte die Sache schon vergessen. Schule war nicht wirklich ihr Ding. Später fand ich heraus, dass sie in Mathe sowieso als hoffnungsloser Fall galt und nur versetzt worden war, weil ihr Vater viel Geld für neue Schulcomputer spendiert hatte. Da sie mir also keine Vorwürfe machte, fragte ich sie, was denn am Wochenende Tolles los gewesen sei.
Tilly schüttelte übermütig ihre maisblonde Mähne. »Wir haben gefeiert.« Sie wandte sich um und rief quer durch den Waschraum: »Gell,
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