Boeses Spiel
Freundschaft für sie so was wie eine reife Frucht, die man sich mal eben vom Baum pflücken kann, wenn man Lust darauf hat?
Das waren so die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, und trotzdem hab ich gelächelt und genickt und gemurmelt: »Ja, fänd ich schön.«
»Dann bin ich froh.« Felicitas schob mich vor sich her in den Klassenraum. Einen Arm auf meiner Schulter. So als wollte sie etwas signalisieren. Vielleicht: Svetlana gehört jetzt zu uns.
Vielleicht... Denn wenn ich heute an den Tag zurückdenke, kann es auch ganz etwas anderes bedeutet haben. An dieser Schule gab es eine eigene »Sprache«, in der man sich verständigte, und einen eigenen Code, der aus Gesten und Blicken bestand. Dazu die Botschaften, die man sich auf andere Weise zukommen ließ: über SMS oder das Internet. Sie waren alle untereinander so gut vernetzt, sie konnten ihre Meinungen und Gedanken austauschen und Spielregeln festlegen, von denen ich nichts ahnte.
Aber das wusste ich da noch nicht.
An diesem meinem zweiten Tag in der Schule waren sie aber schließlich alle so nett zu mir, ausnahmslos, dass mir die Zukunft fast wie eine rosa Wolke erschien. Und ich wollte es glauben.
Vielleicht war es so, dass Dr. Simonis mit ihnen ein ernstes Wort gesprochen, sie an die Grundregeln der Schule erinnert hatte. Und daran, dass sie mich in ihrer Mitte aufnehmen sollten.
Das taten sie auch. Das Mittagessen war einfach herrlich, lustig und fröhlich. Sie erzählten Storys aus dem Internatsleben. Ich hatte mir vorher ganz andere Vorstellungen gemacht, wie es so zugeht in dem Mädchenhaus und in dem Jungenhaus. Sie verrieten mir die Spitznamen der Lehrer, den des Direktors und so weiter, alles über die guten und die schlechten Seiten der Lehrerschaft. Was man sich so erzählt.
Felicitas war an dem Tag mit der Essensverteilung dran und sie bekleckerte ihr Seidentuch. Das sorgte für Erheiterung. Und so erfuhr ich von ihrem Seidenschalschatz. Von dem Seidenpapier und dem HERMES-Karton. Ich hatte das Gefühl, dass die anderen sich ein bisschen über Felicitas und ihre teure Garderobe lustig machten.
Das beruhigte mich.
Ich erinnere mich, dass ich dreimal lauthals loslachte bei diesem Essen, weil irgendetwas so komisch war.
So hatte ich mich lange nicht amüsiert.
Es gab an diesem Tag Spaghetti mit Sauce Bolognese. Frau Clausen kam an unseren Tisch, legte ihre Hände auf meine Schultern und fragte in die Runde, ob alles in Ordnung sei.
»Aber klar!«, erwiderten alle wie aus einem Mund.
»Und dir geht’s auch gut?«, fragte Frau Clausen mich.
Ich strahlte sie an. »Ich finde es superschön hier«, sagte ich. »Alle sind so nett. Und dann gibt es auch noch Spaghetti!«
So schön kann das Leben sein. Von so einem Tag hätte ich mir gerne tausend weitere gewünscht.
Das Glück hielt nur bis zum Wochenende. Als ich am folgenden Montag in die Schule kam, hatte sich der Wind gedreht: Er blies mir wieder ins Gesicht.
Es war nur ein Satz, der mir zu Ohren kam, wie ein Code, bei dem alles sofort in unbändiges Gelächter ausbrach, ausgerufen von der superdünnen Annika, die meine Stimme nachäffte: »Sie sind alle so nett! Und dann gibt es auch noch Spaghetti!« Ich fühlte aufs Neue, dass ich nicht dazugehörte, dass ich wie ein Eindringling auf die anderen wirkte.
Oder wie jemand, über den man sich gut lustig machen konnte.
Offenbar hatten sie am Wochenende eine Megaparty gefeiert, ein Kostümfest. - Ja, ich weiß, Fasching war längst vorbei, aber das spielte keine Rolle, es muss irgendwie eine andere Art von Kostümfest gewesen sein... Die ganze Klasse war ein Herz und eine Seele. Ich sah, wie Zettelchen ausgetauscht wurden, wie alle in den Pausen Nadine (ich hatte mir vorgenommen, sie immer nur Nadine zu nennen, weil ich verstand, dass sie den Spitznamen ätzend fand und weil ich sie ja noch nicht so gut kannte, zu dem Zeitpunkt...), wie sie also Nadine mit ihrem Handy belagerten, um sich über irgendwelche Fotos von dem Fest auszuschütten. Mir haben sie geradezu demonstrativ den Rücken zugedreht. Ich war Luft.
Im Unterricht flogen Blicke hin und her, jede noch so banale Äußerung wurde mit großem Hallo und Gelächter gefeiert. Die meisten Lehrer spielten mit an diesem Montag, Herr Johnson, unser Mathelehrer, allerdings rächte sich, indem
er eine richtig schwierige Aufgabe an die Tafel schrieb mit der Bemerkung, dass derjenige, der innerhalb von zehn Minuten die Lösung habe, seine schriftliche Note damit um eine halben
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