Boeses Spiel
ersten Mal so richtig auf: Wie wenig ich in meinem Adressbuch hatte!
Und es führte mir schmerzlich vor, wie allein ich eigentlich war. Sofort war ich wieder deprimiert.
Ich setzte mich in mein Zimmer und begann zu grübeln. Was für eine Gemeinheit, mir solch eine SMS zu schicken. Schau mal unterm Sofa nach. Als läge bei uns der Dreck zentimeterdick.
Meine Mutter hatte an dem Abend Sport, sie machte seit neustem Jazzgymnastik, was von der Gemeinde kostenlos angeboten wurde. Es gefiel ihr und so hatte sie Kontakt mit anderen Frauen. Wenn sie von der Sportstunde nach Hause kam, sprühte sie immer vor guter Laune.
Ich wollte ihr die Stimmung nicht verderben, deshalb erzählte
ich ihr nicht, was ich am Morgen in der Schule erlebt hatte.
Ich sagte ihr nur, dass ich am nächsten Tag erst zur dritten Stunde müsse …
In der Nacht dann wurde ich geweckt, nichts Ungewöhnliches, in der Wohnung über uns knallte eine Tür.
Doch als ich nun so hellwach dalag und auf den feuchten Fleck an der Zimmerdecke starrte (der Mond schien herein), dachte ich plötzlich: Das ist eine Falle.
Es stimmt gar nicht, dass wir morgen erst zur dritten Stunde haben. Sie wollen nur nicht, dass ich die Arbeit mitschreibe. Und vielleicht besser bin als sie.
Und vielleicht wieder gelobt werde.
Sie wollen mich auflaufen lassen.
Sie wollen, dass mein Image bei den Lehrern einen Knacks kriegt.
Sie wollen sich weiden an meiner Hilflosigkeit, wenn ich morgen zwei Stunden zu spät in die Schule komme, ausgerechnet ich, die ich nach dem ersten Tag, diesem Desastertag, immer überpünktlich war. Sie wollen mir meine Mathenote versauen. Aber da haben sie sich verrechnet.
Ich war pünktlich zur ersten Stunde im Klassenzimmer. Gähnende Leere. Kein Mensch da. Ich knipste das Licht an und setzte mich auf meinen Platz. Ich wartete. Mein Herz raste. Ich starrte auf die Tür. Ging in den Flur. Alles wie verwaist. Die Leute aus meiner Klasse lagen noch in ihren Betten, und ich, frühmorgens, übernächtigt, hockte hier wie ein Idiot.
Die schütten sich aus vor Lachen, wenn sie mich hier sehen, dachte ich. Ich musste weg. Ich hätte in den Speisesaal
gehen können und mir ein Frühstück holen. Ich bin sicher, dass niemand etwas dagegen gehabt hätte.
Aber dann fiel mir ein, dass ich dort den einen oder anderen um diese Zeit doch schon treffen konnte. Das ging überhaupt nicht!
Also schlich ich mich wieder aus der Schule, holte mein Fahrrad und schob es zur Hauptstraße zurück. Es begann zu regnen. An der Ecke gibt es einen kleinen Schober, etwas windschief schon, in dem ein Bauer Heu lagert. Ich beschloss, dort zu warten, bis es Zeit für die dritte Stunde war.
Die Tür konnte man ganz leicht öffnen, und drinnen war es angenehm warm und roch nach trocknem Stroh. Ich schaute mich in dem Schober um. Ich hatte ja Zeit. Es gab sogar einen alten Melkschemel und eine Haferkiste mit einem schweren Deckel, ohne Schloss. Die Kiste war leer. Eine Maus flitzte hinter der Kiste hervor, als der Deckel krachend wieder zuschlug.
Wäre ich an diesem Tag erst zur dritten Stunde gekommen, hätte ich den Schober niemals betreten. Dann wäre vielleicht auch manches Spätere nicht passiert. Mein Leben hätte vielleicht eine andere Wendung genommen. Aber so was nennt man wohl Schicksal …
Als ich zum Unterrichtsbeginn wieder zur Schule zurückfuhr, hörte ich, dass die Mathearbeit ausgefallen war, weil Uwe Johnson einen Grippevirus erwischt hatte. Und so auf die Schnelle hatte sich der Sport wohl nicht mehr zurücktauschen lassen. Die SMS hatte Marcia mir geschickt, leider ohne Absender und ohne Gruß.
Aber immerhin: Sie hatten an mich gedacht. Irgendwie verwunderlich. Ich hatte nicht mehr mit so etwas gerechnet und mir völlig unnötige Gedanken gemacht.
Ich dachte, das darfst du nicht mehr zulassen, dass man dich so verunsichert.
Du darfst nicht so misstrauisch sein. Du darfst nicht hinter allem, was passiert, ein böses Spiel vermuten.
Und das mit den SMS...?
Ach was, vergiss es. Die wollten nur Spaß machen.
Hab Vertrauen!
Drei Tage später fragte Tilly mich, ob ich zu Hause Internet hätte.
»Natürlich«, erwiderte ich.
»Kennst du unsere Schülerforen?« Sie sah mich an.
Ich bin ehrlich, solche Foren haben mich eigentlich immer kalt gelassen. Ich bin eher ein Fan von Google, es macht mir Spaß, Informationen abzurufen, einem Problem nachzuhängen oder über Leute etwas zu erfahren, die mich interessieren.
Was anderes ist nie so mein Ding
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