Boeses Spiel
gewaschen hat.
Dass sie Waschbecken geputzt hat, ihre Klos. Dass sie ihre Zimmer aufgeräumt hat. Ich weiß nur, dass sie mich dafür büßen lassen wollten. So eine wie ich durfte eben nicht in ihrer Klasse sein, das war es. So eine wie ich sollte vielleicht in einer stinkenden Fischfabrik ihr Geld verdienen oder besser noch: auf dem Strich, wie so manche Frauen aus den Ländern der früheren Sowjetunion oder aus Polen oder Ungarn oder sonst woher.
Bis dahin hatten sie mich nur ausgegrenzt. Jetzt hatten sie erkannt, dass ich für sie das perfekte Opfer war.
Sie haben auf hundert verschiedenen Arten versucht, mich fertigzumachen. Mir zu zeigen, dass ich nichts tauge, dass ich als Mensch keinen Wert habe. Und niemals zu ihnen gehören werde.
Sie da oben und ich da unten. Das war ihr Prinzip.
Ich war für sie der letzte Dreck, meine Familie der Abschaum.
Sie haben angefangen, sich Witze zu erzählen, sobald ich auftauchte, Russenwitze. Polenwitze. Von geklauten Autos und so. Einmal abgesehen von ihrer dummen Überheblichkeit: Als wenn die Ukraine Polen wäre... Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, auf dem Atlas nachzusehen, wo die Ukraine eigentlich liegt.
Ich weiß, dass Russen, Polen und all die anderen Osteuropäer einen schlechten Ruf haben, in den Krimis sind das immer die Gangster, die Drogenhändler, die Diebe, die Zuhälter und Menschenhändler. Die Krimis bedienen das Weltbild vieler Leute und verdrehen es zusätzlich, auch solcher Leute, die meine Mitschüler waren. Die konnten sich offenbar überhaupt nicht vorstellen, dass eine Frau wie meine
Mutter mal studiert hat. Dass sie auch mal Lehrerin war. Das hätte nicht in ihr engstirniges Schema gepasst.
Und dann ihre dreckige Fantasie! Alles drehte sich ja sowieso irgendwie nur um Sex, das zentrale, alles überstrahlende Thema. Nicht nur dieser Kaspar kaufte heimlich Pornohefte, mehrere Jungen taten es und tauschten Sexvideos aus. Die Mädchen trugen Push-up-BHs und unter ihren engen Hüfthosen zeichneten sich die Tangastrips deutlich ab. Auf die Verlängerung der Poritze klebten sie sich Tattoos, die jedes Mal sichtbar wurden, wenn sie sich bückten. Wie die Sänger in den Videoclips, die immer taten, als würden sie in der nächsten Sekunde ein Super-Sex-Erlebnis haben. In den Waschräumen, wo die Jungen sie nicht sahen, ahmten die Mädchen diese Bewegungen aus den Clips nach, halb im Spaß, und halb meinten sie es ernst, und stöhnten dabei, als hätten sie einen Orgasmus.
Aber im nächsten Augenblick bekamen sie dann einen Lachkrampf und alberten herum wie unreife Babys. Irgendwie ist das ja auch schön, dieser Schwebezustand zwischen Kindsein und vom Erwachsenenleben träumen. Ich denke mal, das war wie überall sonst. Manche Mädchen sind echt frühreif und andere noch auf diesem Hundebaby- und Pferdepostertrip. Das passt irgendwie überhaupt nicht zusammen. So auch im Erlenhof. Die einen machten auf Vamp, und die anderen, im Faltenrock und weißer Rüschenbluse, spielten die braven Girls aus Bluewater-High, so einer amerikanischen College-Serie, die am Sonntagvormittag lief und die alle guckten. Sie hatten sich alle irgendeine Rolle ausgedacht, die sie spielen wollten. Und ich? Welche Rolle hatte ich?
Vielleicht war das mein Problem, dass ich mich nicht hinter einer Maske versteckt habe, sondern einfach nur ich
selbst war. Ganz ungeschützt. Vielleicht war ich auch deshalb das geborene Opfer für die anderen. Svetlana Aitmatowa, nichts anderes als die Tochter einer ukrainischen Putzfrau …
Es gab einen Jungen in unserer Klasse, Lennart, der hatte in seiner Federmappe immer ein Päckchen mit Kondomen. Jeder wusste, dass Lennart noch nie Sex hatte (wie die meisten anderen auch), aber er wollte einfach so tun oder zeigen, dass er jederzeit bereit war - falls ein Mädchen aus seiner Klasse plötzlich Lust zeigte, in der Pause mit ihm im Bootsschuppen zu verschwinden. Natürlich haben sich alle lustig gemacht über Lennarts Kondomtick. Und ihn manchmal damit aufgezogen, aber das war liebevoll, so nach dem Motto: Hey, wir wissen, wie du drauf bist.
Mit mir sind sie anders umgegangen.
Es war der dritte Tag, nachdem Anna Leschkowa, die Putzfrau, sich als meine Mutter »geoutet« hatte. In den zwei vorangegangen Tagen habe ich gefühlt, wie sich etwas zusammenbraute. Wie sie mich noch mehr auf Distanz hielten. Noch enger zusammengluckten.
Das Schlimme war, dass Ravi an dem Tag mit einem Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus kam. Ich
Weitere Kostenlose Bücher