Bold, Emely
Steinboden. Er sagte kein Wort, sondern sah mich einfach nur an. Vage wurde mir bewusst, dass mein Amulett heiß auf meiner Haut brannte, doch ich war zu sehr im Hier und Jetzt gefangen, um mir über die sonderbaren Eigenheiten der alten Kette Gedanken zu machen.
Als ich mich wieder gefasst hatte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und hob meinen Blick. Payton saß im Schneidersitz mit dem Rücken lässig gegen die Mauer gelehnt da. Seine Hände lagen scheinbar entspannt auf seinen Oberschenkeln, doch an seinen Armen traten die Muskeln vor Anspannung hervor. Außerdem fand sich auch in seinem gequälten Blick kein Funke dieser Lässigkeit. Aber ich fand das nur gerecht, denn ich selbst konnte vermutlich noch eher den Mount Everest besteigen, als cool und lässig zu wirken. Der erste Schock, in den mich der unglaubliche Klang seiner wunderbaren Stimme versetzt hatte, ebbte langsam ab. Irgendwie hatte ich plötzlich Angst, dass wenn ich diesen Moment verstreichen lassen würde, er sich erheben und gehen würde. Diese Vorstellung war schrecklich. Obwohl ich nicht sagen konnte, was es war, dass mein Interesse an ihm so stark machte wusste ich, dass es etwas ganz Besonderes war, was gerade mit mir geschah. Payton sah eigentlich ganz gut aus trotz der Narbe an seinem Kinn, doch ich glaubte nicht, dass es damit etwas zu tun hatte. Schließlich war ich zuvor schon jahrelang mit Ryan Bakers gutem Aussehen klargekommen. Und Ryan hatte zusätzlich noch ein strahlendes Lächeln, eine offene, ja angeberische Art und flirtete mit Jeder. Während Paytons Gesicht auch jetzt noch einen verschlossenen und beinahe abweisenden Ausdruck trug. Ich würde dieses Geheimnis vermutlich nur lösen können, wenn ich den ersten Schritt tun würde, denn es sah nicht so aus, als hätte es Payton eilig, mit mir ein Gespräch zu beginnen.
„Sorry!“
Entschlossen, diesmal keine Schwäche zu zeigen, sah ich ihm direkt in die Augen und hatte das Gefühl in den Tiefen seines Blicks Schmerz und Verzweiflung zu sehen. Dann blinzelte er und es schien so, als hätte dichter schottischer Nebel die eben noch vorhandenen Gefühle verschleiert.
„Geht es dir gut?“, fragte Payton vorsichtig und schien bereits jetzt keinen rechten Glauben an meine Antwort, wie auch immer diese ausfallen mochte, zu haben.
„Ja, danke. Es geht jetzt wieder.“
Fieberhaft suchte ich in meinen unsortierten Gedanken nach einem plausiblen Grund für mein doch sehr merkwürdiges Verhalten.
„Ich habe das letzte Mal heute Morgen etwas gegessen, und mir war gerade etwas flau. Geht aber wieder.“
Er nickte kurz und stellte keine weiteren Fragen.
„Ich könnte dir etwas über das Monument erzählen, wenn du lieber noch etwas sitzen bleiben möchtest?“, bot er schüchtern an.
„Klar, das wäre super. Ich wollte mir eigentlich schon die Ausstellung im hinteren Teil des Shops ansehen, doch das Gedränge war wirklich nicht auszuhalten.“
„Ja, ich hasse solche Touri-Ansammlungen auch. Die sind wie die Aasgeier!“
„He! Ich bin auch einer dieser Aasgeier!“, spielte ich die Entrüstete.
„Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, aber du scheinst irgendwie aus deinem Nest gefallen zu sein, du Geierkücken!“
Mit einem Mal war zwischen uns beiden alles so einfach. Ich lachte über seine Erwiderung und auf dem Weg zum Mount Everest der Lässigkeit, war ich nun zumindest schon mal auf Höhe des ersten Basislagers angekommen.
„Also ich dachte du wolltest mir etwas über den Turm erzählen, stattdessen muss ich mich hier von dir ärgern lassen. Wenn das so weiter geht, dann geselle ich mich eben zu den anderen Geiern und höre mir sämtliche wichtige Infos in gleich vier verschiedenen Sprachen an!“, drohte ich.
„Würde mich doch sehr überraschen, wenn du vier Sprachen verstehen würdest, du konntest vorhin noch nicht mal in einer Sprache auf meine Fragen antworten.“
Zu meinem Ärger errötete ich bei der Erinnerung an die peinliche Szene. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, doch anstelle sich zu entschuldigen, sah er doch tatsächlich so aus, als mache er sich schon wieder über mich lustig.
„Sehr witzig!“
„Ja, wenn ich ehrlich bin, habe ich mich seit einer Ewigkeit nicht mehr so gut amüsiert, wie mit dir.“
„Na dann musst du ja ein wirklich ödes Leben führen!“
Sein Blick verdunkelte sich bei meinen Worten und er sah über mich hinweg, in den Himmel. Meine so leicht dahin gesagten Worte standen nun wie eine Mauer zwischen uns und ich
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