Bold, Emely
bewusst wahrnahm. Zwar hatte ich mich an seine Anwesenheit gewöhnt, doch innerlich vibrierte und zitterte ich, so als stünde ich neben einer Teslaspule, deren Energiefeld mich durchströmte.
„Na, hast du schon genug, oder möchtest du, dass ich dir noch etwas mehr über die Geschichte dieses Ortes erzähle?“
Seine Stimme riss mich aus meinen Grübeleien und ich hätte am liebsten gesagt, dass ich eigentlich gern etwas mehr über ihn gewusst hätte, doch mein schüchternes Wesen antwortete einfach nur:
„Klar, erzähl doch weiter. Ich habe ohnehin noch Zeit.“
„Wie viel Zeit denn?“, fragte Payton und schien eine Idee zu haben.
Ich kramte in meiner Jackentasche nach meinem Handy. Der Bus würde erst in zwei Stunden zurück nach Aviemore fahren.
„Eigentlich noch viel zu viel Zeit.“, gab ich interessiert zurück. Ich wusste nicht, was ich hier noch zwei Stunden tun sollte, darum hoffte ich tatsächlich, Payton würde etwas vorschlagen. Denn wenn er sich jetzt verabschieden würde, käme ich vermutlich vor Langeweile um. Außerdem wollte ich auch einfach noch nicht, dass er ging. Vielleicht würden ja die Waffen einer Frau helfen, ihn noch etwas hier zu halten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie man lasziv sein Haar zurückwarf, oder einen Schmollmund machte. Anscheinend haperte es dann aber an der Umsetzung meines Plans, denn schon wieder trat ein belustigter Ausdruck auf dieses schöne, rätselhafte Gesicht.
„Was hältst du davon, etwas mit mir spazieren zu gehen, während ich deinen ganz persönlichen Reiseführer spiele und dir noch mehr über die Geschichte des Monuments erzähle? Ich kenne einen Weg, der zum Fuß des Viadukts führt.“
Ein Stück hinter dem Souvenirshop spannte sich ein gewaltiges Viadukt von einem Berghang zur anderen Seite des Tals. Ich kannte das Bauwerk, denn im Shop konnte man Poster kaufen, auf denen der Hogwarts-Express Harry Potter über eben diese Brücke beförderte. Paytons Angebot hätte aber auch ohne eine weitere Sehenswürdigkeit seinen Reiz gehabt. Eben einfach nur deshalb, weil ich damit noch etwas Zeit mit ihm haben würde.
„Klingt super.“
Sofort stand ich auf und auch er erhob sich schnell, noch ehe ich ihm hilfreich die Hand entgegen strecken konnte.
„Du solltest zuvor aber noch etwas essen.“, stellte er fest.
„Essen?“
„Ja, oder hast du deinen Schwächeanfall von eben schon wieder vergessen?
„Oh, ja, ach so, der Schwächeanfall, klar. Ja, essen klingt gut.“
Wir schlenderten nebeneinander zurück zum Souvenirshop und Payton besorgte mir eine Portion Pommes und eine große Limo. Kauend saßen wir an einem der kleinen Bistrotische. Eine Frau aus meiner Reisegruppe warf einen skeptischen Blick zu uns herüber, ehe sie sich tuschelnd zu ihrer Nachbarin umdrehte. Ob sie mir meine durcheinandergeratenen Gefühle ansehen konnte? Schnell erhob ich mich und wischte mir die Hände an der Serviette ab.
„Also, wollen wir?“, trieb ich meinen Begleiter an.
Auch Payton hatte den Blick der Frau bemerkt und im Gehen stichelte er:
„Und ich hatte gedacht, die Zeiten, in denen hübsche Mädchen nur mit einer Anstandsdame ausgehen durften wären längst vorüber.“
Wow, hatte er gerade gesagt, ich wäre hübsch? Oh mein Gott! Dieser eine Satz, den er vermutlich noch nicht einmal ernst gemeint hatte, reichte aus, um meine mühsam hergestellte Lässigkeit zu zerstören. Schon wieder zitterten meine Knie und mein Herz raste. Als er jetzt auch noch mit seiner himmlischen Stimme begann, mich auszufragen, fügte ich mich seufzend dem Gefühl in einem tiefen Strudel wild und schutzlos im Kreis zu treiben. Ich hoffte einfach, dass seine Wahrnehmung nicht besonders gut ausgeprägt war und ihm mein innerer Aufruhr entging.
Payton runzelte leicht die Stirn, als er mein Seufzen hörte, doch dann drehte er mir den Rücken zu und ging voran.
„Also,“, hakte er noch einmal nach, „was verschlägt dich nach Schottland?“
„Schüleraustausch. Ich versuche, meine Noten in Geografie und Geschichte zu verbessern. War ein Vorschlag meines Lehrers.“
Wieder hielt er mich mit einem langen Blick gefangen, so als prüfe er meine Worte auf deren Wahrheitsgehalt. Mir war dabei etwas unwohl.
„Und du? Lebst du hier? Du kennst dich ja echt gut aus.“
„Hier in der Nähe.“
Seine Antworten waren immer sehr knapp und ermutigten nicht gerade weiter in ihn zu bohren.
„Aber wenn du aus der Gegend bist, warum kommst du dann hierher? Hier wimmelt es
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