Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
unsere eigenen Generatoren zurückgreifen konnten – von denen in jener Nachtkeiner eingeschaltet war und lief. Der Hauptgenerator war gerade entfernt worden, um Platz für ein größeres und besseres Modell zu schaffen, und der Notfallgenerator, der sowieso demnächst völlig veraltet wäre, war vor Kurzem von ein paar vorbeischauenden Mäusen außer Gefecht gesetzt worden. Wir kämen aber gut ohne die Generatoren zurecht, weil die Energie von draußen wahrscheinlich bald wieder da wäre und das ganze Problem sich von selbst lösen würde.
»Unsere Handys funktionieren«, sagte ich. »Und wir haben Taschenlampen. Ich habe Fallon angerufen, aber ich erwarte erst in einigen Stunden, etwas von ihm zu hören. Warum ruhen wir uns alle nicht etwas aus?«
»Allerdings«, meinte Sloane.
»Handys?«, fragte die Tänzerin.
»Das erkläre ich später«, erwiderte ich.
»Halten Sie es für richtig, dass ich schlafe?«, fragte sie Sloane.
Nach einem Blick auf seine Uhr schüttelte Sloane den Kopf und sagte, sie solle die Nacht über wach bleiben. Sie nahm die Anordnung ziemlich locker und wandte sich dann an mich.
»Wer ist Fallon?«, fragte sie.
»Thomas Fallon. Ein Freund bei der Polizei. Er überprüft Fälle von vermissten Personen.«
»Was ist mit dem Krankenhaus?«, fragte die Tänzerin.
»Keine Sorge«, antwortete ich. »Wenn’s ein Problem gibt, bezahle ich die Rechnung.«
»Und ich gebe Ihnen das Geld zurück«, sagte sie.
»Und ich werde euch beide bezahlen«, sagte Sloane, »damit ihr das Reden einstellt und den Raum verlasst. Bis Tom Fallon anruft, wird der Strom wieder da sein, und Meriwether wird etwas wissen.«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Meriwether über die Schulter, als er zu seinem Zimmer ging.
Seine seltsamen Kräfte umfassten nach wie vor nicht den Blick in die Zukunft, aber ich hoffte halb, dass er recht hatte. Ich fragte mich, was die Tänzerin für ein Leben hatte. Wenn es ein gutes war, hätte sie dann nicht eine leise Ahnung davon?
»Ich gehe zu Bett«, sagte Sloane. »Jetzt.«
»Schlafen Sie gut«, sagte die Tänzerin.
»Das habe ich vor«, erwiderte Sloane. »Und das meine ich so, Nick. Weck mich nur auf, wenn die Schute sinkt.«
»Sie kann nicht sinken«, bemerkte ich.
»Das habe ich metaphorisch gemeint«, sagte er. »Und genau genommen würde ich lieber mit dem Schiff untergehen, als vor zehn Uhr morgens aufwachen.«
»Tut mir leid«, sagte die Tänzerin. »Ist meine Schuld.«
»Entschuldigen Sie bitte, meine Liebe«, sagte Sloane. »Von Schuld ist hier nicht die Rede. Ich werde bloß alt und kratzbürstig. Ich bin froh, dass ich Gelegenheit erhielt, Sie kennenzulernen. Jeder Freund von Nick ist auch mein Freund.«
»Gute Nacht, Edward«, sagte ich. »Und vielen Dank.«
»War mir ein Vergnügen, mein Junge, war mir ein Vergnügen.«
Mit diesen Worten verließ er den Raum, langsam, jedoch in seiner üblichen perfekten Haltung.
Ich nahm zwei Taschenlampen und brachte die Tänzerin über den Flur hinab zum Gästezimmer. An der Tür blieb sie stehen.
»Wissen Sie, ich habe versucht, mich zu erinnern«, sagte sie. »Aber die stärkste Erinnerung ist nicht mal eine – es ist bloß ein Gefühl.«
»Das Krankenhaus«, sagte ich.
»Ja«, entgegnete sie. »Offensichtlich ist was passiert.«
»Versuchen Sie, das nicht so ernst zu nehmen«, meinte ich. »Sie können die Vergangenheit nicht kontrollieren – und heute Abend haben Sie nicht mal eine Vergangenheit.«
»Es muss viele Leute geben, die nur allzu froh wären, die Vergangenheit auszulöschen«, sagte sie. »Ganz neu anzufangen.«
»Möchten Sie ganz neu anfangen?«, fragte ich.
»Was meinen Sie?«, fragte sie gleichmütig zurück.
»Ich glaube nicht.«
»Ich glaube auch nicht«, sagte sie. »Weil die Leute nie ganz neu anfangen können.«
»Das könnte von mir sein«, sagte ich.
»Vielleicht bin ich Ihnen ähnlich.«
»In diesem Fall«, sagte ich, »werden Sie wissen, dass Sie vor nichts Angst haben müssen. Sie sind hier in Sicherheit – aber Meriwether kann an Ihrer Tür bleiben und dafür sorgen, dass Sie nicht einschlafen.«
»Mir wird’s gut gehen«, sagte sie lächelnd.
Ich bemerkte ihre Lippen und ihre ebenmäßigen weißen Zähne. Ihre schräg stehenden Wangenknochen. Und eine kleine Narbe am Kinn. Jeder, der als Kind jemals fünf Minuten für sich allein spielen konnte, ohne Aufsicht, hat zum Beweis dafür eine Narbe am Kinn.
»Versuchen Sie, sich auszuruhen«, sagte ich. »Ich komme in
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