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Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)

Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)

Titel: Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanie McDonell
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würde sein Programm nur verkaufen, wenn wir sonst wieder auf Parkbänken schlafen müssten.
    Wir betraten die Bibliothek und entdeckten, dass Sloane die Stereoanlage eingeschaltet hatte, aus der Chopins Nocturne in G-Dur ertönte, eines seiner Lieblingsstücke.
    Das Mädchen saß gleich neben ihm auf dem Sofa, und er sah ihm im Strahl einer kleinen Taschenlampe in die Augen.
    Unter der Lampe, die Sloane zu sich herangezogen hatte, wirkten ihre Augen, umrahmt von samtschwarzen Wimpern, lavendelfarben. Ihre Wangen waren gerötet, und sie hatte das Haar hochgesteckt.
    Sloane schaltete die kleine Taschenlampe aus.
    »Was meinst du?«, fragte ich.
    »Ich bin kein Neurologe …«
    »Aber du hast einen Artikel über das Gedächtnis geschrieben«, sagte ich.
    »Du hast ein gutes Gedächtnis«, meinte er.
    »Danke.«
    »Wenn dir danach ist.«
    Ich schwieg. Ich musste die richtigen Augenblicke bei Sloane abwarten, und der gerade jetzt kam nicht im Entferntesten in Betracht.
    »In dem Artikel ging es um unterdrückte Erinnerungen«, fuhr er fort, »was etwas völlig anders ist als das, was wir hier haben.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Aber der Bursche im Krankenhaus hat mir gesagt, sie hätten eine Computertomografie bei ihr gemacht, und es hätte sich nichts gezeigt. Warum hat sie also ihr Gedächtnis verloren?«
    »Sprechen Sie bitte nicht von mir, als ob ich gar nicht anwesend wäre«, sagte die Tänzerin.
    »Entschuldigung«, sagte ich.
    Sloane klopfte mit den Fingern auf das Beistelltischchen.
    »Zum einen«, setzte er an, »ist ein Gedächtnisverlust nach einer schlimmen Gehirnerschütterung nicht ungewöhnlich. Es lässt sich unmöglich vorhersagen, wie lange er dauern wird, aber er wird selten zu einem dauerhaften Zustand.«
    »Wie viel Prozent?«, fragte die Tänzerin.
    »Etwa einer von zehntausend«, erwiderte Meriwether.
    »Einverstanden«, erklärte Sloane.
    »Vertrauen Sie ihnen«, sagte ich, und ich fühlte mich unangemessen glücklich, weil sie mir anscheinend vertraute.
    »Amnesie«, erklärte Sloane der Tänzerin, »ist fast immer kurzfristig, aber wie gesagt, ich kann Ihnen keinen genauen Zeitrahmen geben. Es bestehen alle Gründe für die Annahme, dass Sie sich erholen werden, aber im Augenblick leiden Sie an retrogradem Gedächtnisverlust.«
    »Das heißt?«, fragte sie.
    »Es gibt zwei Arten von Gedächtnis«, entgegnete Sloane. »Das deklarative Gedächtnis ist zuständig für Fakten und Ereignisse. Jenes Gedächtnis, auf das die bewusste Erinnerung zugreift. Wenn Sie dieses Gedächtnis verlieren, können Sie nicht einmal die simpelsten Tatsachen aufrufen, wie Ihren Namen und Ihre Adresse oder Ihren Geburtstag.«
    »Und das andere?«
    »Prozedurales«, erwiderte er. »Fähigkeiten und Handlungen, die nichts mit dem Bewusstsein zu tun haben.«
    »Wie Zähneputzen«, sagte sie.
    »Oder eine Sprache sprechen«, ergänzte er. »Maschineschreiben, Tennis spielen.«
    »Oder Tanzen«, sagte ich.
    »Genau«, meinte Sloane.
    »Würden Sie ein Experiment mitmachen?«, fragte ich die Tänzerin.
    »Welches?«, fragte sie widerstrebend zurück.
    »Stehen Sie auf!«, sagte ich.
    Sie erhob sich, barfuß, jedoch in elegantem Schwarz. Ich stellte mich vor sie, die Hände über den Kopf gehoben, die Arme gerundet oder zumindest gebeugt. Ich streckte das rechte Bein aus, wobei der Fuß nach rechts zeigte. Das hatte ich schon gesehen.
    Meriwether lachte laut heraus. Sehr ungewöhnlich bei ihm.
    »Können Sie das nachmachen?«, fragte ich sie.
    Sie musste dazu lediglich das Kinn heben und die Arme und das Bein ausstrecken. Ich drehte mich im Kreis. Und sie ebenfalls, aber sie tat es mühelos und auf den Zehenspitzen. Sie drehte sich wieder, rascher, und dann ein drittes Mal, noch rascher.
    »Also gut, es reicht. Aufhören«, sagte Sloane. Aber er kam zu spät. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel mir in die wartenden Arme.
    »Nick«, sagte Sloane, »ich glaube, du hast deinen Zweck erreicht.«
    »Ich bin eine Tänzerin«, sagte sie, als sei es eine Offenbarung. War es auf seine Weise ja auch.
    »Meriwether …«, sagte ich.
    »American Ballet Theatre«, erwiderte er. »New York City Ballet, Washington Ballet, Boston, Royal Ballet, Kirov …«
    Er hätte wahrscheinlich jede Ballettkompanie der Welt auflisten können, dazu aufgelöste und fiktionale, aber ich ging dazwischen.
    »Es wird Fotos und Biografien geben«, sagte ich.
    »Ich mache mich auf die Suche.«
    Und er würde finden, was es zu finden gab. Das tat er

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