Bombenbrut
noch Sträucher zu lang und zu dicht wuchsen. Und, klare Ansage der alten Dame: Das Gras kommt auf den Kompost, aber nicht die dickeren Zweige, und schon gar nicht die Haselnusszweige. Leon hatte die Grünabfälle zur städtischen Deponie zu fahren. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als die Zweige zu bündeln und in seinem Zweisitzer zu verstauen. Der kleine Kofferraum des Porsches war schnell voll, also verstaute er einen Teil der Äste auf der Rückbank und dem Beifahrersitz.
Jetzt nervt ihn das Grünzeug. Wie er in seinen Wagen einsteigt, muss er sich neben das störende Blattwerk drücken. Er schwört sich, das lästige Geäst noch heute Nacht irgendwo auf der Heimfahrt abzuladen. Zunächst muss er sich allerdings sputen, Gunther Schwanke erwartet ihn in seinem Büro. Mit den ersten Tönen von Jan Garbareks Saxofonspiel ›In Praise of Dreams‹ aus dem CD-Player fährt Leon los.
Er will Schwanke zu Dornier befragen, doch plötzlich muss er an den Toten vom Seemooser-Horn denken. Immer wieder kreuzen sich die Wege seiner Recherchen mit dem des Ermordeten. Gunther Schwanke bat ihn, erst spät am Abend zu kommen, er sei gerade, seit dem überraschenden Tod eines leitenden Angestellten, viel beschäftigt. Leon zählte zwei und zwei zusammen und erinnerte sich an die Krawattennadel des Toten und die beiden Buchstaben ›DS‹. Die Verbindung zu Schwankes ›Defensive-Systems‹ liegt auf der Hand, er leitete ab, dass Schwanke mit seinem toten Mitarbeiter nur Dr. Kluge vom Seemooser-Horn meinen konnte.
Leon nestelt an der Sonnenblende seines Wagens, um seine Augen gegen die tief stehende Abendsonne aus dem Westen zu schützen. Es ist zwar nach 19 Uhr, aber die Sonne demonstriert noch immer strahlend ihre Sommerstärke. Im Gegenlicht sieht er den Zeppelin von seiner Reise über den Überlinger See zurückkommen. Die Passagiere haben an solch einem Abend eine wundervolle Aussicht. Ideales Licht für Märchenbilder vom Bodensee, träumt Leon, doch sein Kamerateam ist in Konstanz zurückgeblieben. »Feierabend«, hatte der Kameramann gelacht und sich an das Konstanzer Hörnle zum Baden verdrückt.
Der Kapitän des Zeppelins NT, Lars Pentzek, hält den Joystick locker in der linken Hand, sekündlich muss er das Schiff bei jeder kleinen Windböe ausgleichen, damit die Gashülle nicht nach eigenem Gutdünken auf den Luftwellen tanzt. Graf Zeppelin hatte vor hundert Jahren mit ganz anderen Widrigkeiten zu kämpfen, seine Luftschiffe hatten andere Dimensionen, sie waren viermal so groß wie die heutigen und von wegen NT. Neue Technologie von 1900, das hieß damals rund 250 Meter lang, fast 50 Meter hoch und mit 200.000 Kubikmeter Wasserstoff gefüllt.
Die heutige silberne Zigarre ist in ihren Ausmaßen ein müder Abklatsch. Trotzdem wird die Autoschlange zwischen Friedrichshafen und Meersburg unwillkürlich noch langsamer, als der Zeppelin vorüberzieht. Fast alle Fahrer schauen verträumt zu dem tanzenden Luftschiff hoch.
Dabei schiebt sich auf der Straße die Blechlawine ohnehin nur mühsam voran. Es ist der sommerliche Touristenverkehr von Friedrichshafen über Fischbach nach Immenstaad und Meersburg. Die Tagesausflügler sind auf dem Weg nach Hause, die Frischluftschnapper haben alle Zeit der Welt und blicken lieber auf den schimmernden See und zu dem Zeppelin, als dass sie sich auf den Verkehr konzentrieren.
Leon steckt mitten in der Schlange. Die zweispurige Bundesstraße hat zwei Gesichter. Mit dem einen werben die Fremdenverkehrsorte: ›Oberschwäbische Barockstraße‹ nennen sie die Bundesstraße zwischen den beiden Kuppeltürmen der alten Friedrichshafener Schlosskirche und der Wallfahrtskirche Birnau, kurz vor Überlingen.
Gleichzeitig dient die Bundesstraße auch als Produktionsstraße. Sie verbindet die Betriebe der mtu, heute Tognum AG, Lieferant von Motoren für Panzer und Zerstörer sowie U-Boote; mit der ZF, hier werden Getriebe für Panzer und Militär-Lastwagen produziert, und der Firma Avitech, hier tüfteln Ingenieure an IT-Lösungen zur Luftraumüberwachung, sowie der EADS Astrium in Immenstaad, sie verkauft Satellitenüberwachungsanlagen, während daneben die EADS Cassidian Flugsteuerungen in die Eurofighter einbaut.
Leon wird klar: Hinter all den sauberen Werksfassaden, an denen er vorbeitrödelt, sichert allein die Rüstung die schönen, hoch bezahlten Arbeitsplätze. Er schwankt zwischen Anerkennung und Ablehnung und denkt an die einst tollkühnen Männer zu Zeiten von Claude Dornier in
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