Bombenbrut
Polizei die ganze Zeit? Und warum sind heute die Iraner, nachdem Markus dort mit ihnen verhandelt hatte, auf ihrem Boot ermordet worden?
Verdammt, das alles ist doch nicht meine Abteilung, denkt Leon unvermittelt. Er hat anderes zu tun. Er hat sich auf seine Dornier-Story zu konzentrieren, die er morgen im Stadtarchiv von Friedrichshafen weiter abzudrehen hat. Dort will er Bilder aufnehmen, die die Stadt im Mai 1945 zeigen. Es sind Bilder des Grauens, denn Friedrichshafen wurde in Schutt und Asche bombardiert, nachdem die Alliierten den nördlichen Teil des Bodensees als Produktionsstätte der Rüstungsindustrie Hitler-Deutschlands ausgemacht hatten.
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges hatten fast 30.000 Menschen in Friedrichshafen gelebt, im Mai 1945, nach den Bombardements, waren es keine 8.000 mehr. Allein am 28. April 1945 warf die Royal Air Force 1.120 Tonnen Bomben über der Stadt ab. Mehr als 8.000 Menschen kamen in dieser Nacht um. Die Rüstungsbetriebe waren zu diesem Zeitpunkt längst ausgebombt.
Auch Claude Dornier stand, wie viele Häfler, buchstäblich vor dem Trümmerhaufen seines Lebenswerkes. Die Dornier-Werke waren, wie die Stadt und alle anderen Rüstungsbetriebe am See, vollkommen zerstört.
Leon biegt in Überlingen von der Bundesstraße ab und fährt in die Stadt. Im Westen passiert er den Bahnübergang und kommt an den ehemaligen Überlinger Stollen, der den ausgebombten Rüstungsbetrieben einen sicheren Fluchtort bieten sollte, vorbei. In einem Bergwerk sollten die zerstörten Betriebe aus Friedrichshafen für den Endsieg weiter produzieren. Unter unmenschlichen Bedingungen mussten durchschnittlich 700 KZ-Häftlinge die Stollen in den Berg treiben. Mindestens 170 Menschen wurden dabei in wenigen Monaten von der SS ermordet. Heute mahnt eine Gedenktafel an das Verbrechen und für den Frieden in der Welt.
Im Osten der Stadt steht dagegen ein ganz anderes Erbe der Nazizeit. Das Luftfahrtgerätewerk der Askania-Werke wurde aus strategischen Gründen von Berlin nach Überlingen verlegt. Ein kleines Team von Ingenieuren sollte hier im Auftrag Hitlers ein Flugzeug-Torpedo für den Endsieg entwickeln. Heute produzieren hier Ingenieure für den Diehl-Konzern Hightech vom Feinsten für den Tornado und Eurofighter.
Das parkende Auto vor seiner Wohnung reißt Leon aus seinen Gedanken. Es ist Lenas dunkelgrüner Mini. Verdammt, er hatte sie vergessen. Sie waren verabredet, er hatte ihr einen gegrillten Fisch versprochen und einen schönen, lauen Sommerabend auf seiner Terrasse.
Er sieht Licht in seiner Wohnung brennen und weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Vorsichtig schleicht er sich an sein eigenes Fenster, späht hinein und entdeckt Lena, die der Länge nach auf seiner Couch liegt. Sie schläft friedlich und hält mit beiden Händen ein Buch fest, das auf ihrem Bauch liegt. Ihre schwarzen Haare sehen ein bisschen zerzaust aus, ihr braun gebranntes Gesicht wirkt auch während des Schlafs munter und frech, ihre Bluse ist verführerisch geöffnet, ihre langen Beine hat sie weit von sich gestreckt. Leon schaut sie verliebt an, er findet sie noch immer äußerst attraktiv und auf ihre natürliche Art einfach schön. Er glaubt, sie in einem Traum lächeln zu sehen.
Er sieht aber auch die beiden Teller auf dem Tisch stehen, Gläser und eine große Schüssel welken Salats sowie eine fast abgebrannte Kerze. Ein schlechtes Gewissen beschleicht ihn.
Er läuft zurück in den Garten, geht leise durch die nicht verschlossene Haustür in den Keller, greift nach einer Flasche Moet & Chandon, die Lena dort vor einigen Monaten gebunkert hat, und marschiert mutig in seine Wohnung.
Er öffnet die Tür und Lena erwacht.
Ihr Blick fällt auf Leon, der ziemlich verschlissen in seinen nassen Klamotten steckt und in der Hand ihre eigene Flasche Champagner hält. Kurz funkeln ihre Augen böse, doch dann muss sie lächeln und entscheidet sich schnell für das Spiel der überraschten Ehefrau: »Ach, mein Schatz, wie schön, dass du an unseren Abend gedacht hast und mir zu unserem Wiedersehen meinen Schampus spendieren willst.«
»Lass den Quatsch, ich hab’s vermasselt«, versucht sich Leon zu entschuldigen, »und den versprochenen Fisch habe ich auch nicht.«
Er beugt sich zu ihr, küsst sie auf den Mund und will sich weiter erklären. Doch sie unterbricht ihn, legt ihm ihre Hand auf seine Lippen und antwortet, ohne zickiges Getue: »Ich habe Fisch gekauft, und der wird jetzt gegessen, der passt sehr gut zu deinem
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