Bombenbrut
Einliegerwohnung der alten Dame einzog.
Senta wedelt mit dem Schwanz, als wäre sie der Diskussion gefolgt, und springt an Leon hoch. Er riecht ihren scharfen Mundgeruch, tätschelt trotzdem aufmunternd ihren fetten Hals und verspricht: »Ja, Sentalein, heute Abend machen wir einen kleinen Lauf über den Eglisbohl.«
In seinen Gedanken allerdings ist Leon schon wieder bei Schwanke und seinem Teleskop sowie der gestrigen Bootsexplosion auf dem See, wobei er den beiden Damen verbindlich zusagt, am Wochenende ihren gewünschten Gartenarbeiten nachzugehen. Aber jetzt muss er nach Friedrichshafen ins Stadtarchiv, um seine Dokumentation zu drehen.
»Über Claude?«, fragt Helma interessiert, »den alten Schürzenjäger?«
Leon schaut die alte Dame fragend an.
»Ja, denkst du denn, erst ihr habt das Kindermachen erfunden?«
»Claude Dornier doch wohl auch nicht.«
»Aber er war ein Charmeur, das, was euch jungen Leuten heute fehlt«, lacht sie vieldeutig.
Leon winkt ab. »Wenn’s heute noch Mädels gäbe, wie früher dich, liebe Helma, dann wäre ich gern der Obercharmeur.« Er steht auf und nimmt die alte Frau in seine Arme. »Hat denn der alte Claude bei dir jemals den Rasen gemäht?«
»Nein, mein Lieber, aber den Hof gemacht«, lacht sie, »das hat er!«
»Und ihr habt geglaubt«, frotzelt Leon, »das gäbe Kinder?«
»Da seid jetzt ja wohl ihr an der Reihe«, wird Helma ernst und schaut Lena und ihn fragend an.
»Zeit für Maloche«, lässt sich Leon auf keine weitere Diskussion ein und verabschiedet sich schnell von den beiden Frauen mit der Versicherung für Lena, dass er das ganze Wochenende nur Zeit für sie haben würde.
»Dein Wort in Gottes Ohr«, warnt sie ihn, »deine letzte Chance: Zuerst Rasen mähen, dann die Einladung, du weißt schon!«
Leon küsst sie auf den Mund, drückt sie etwas länger als üblich und nimmt sich dabei fest vor: Dann schauen wir mal, wie Claude Dornier den Frauen den Hof machte.
»Hoffentlich ist bald Wochenende«, verabschiedet er sich.
Im Stadtarchiv von Friedrichshafen hat Simon Reproaufnahmen zu drehen. Leon will in seiner Dokumentation das schreckliche Ende des Zweiten Weltkrieges unverblümt zeigen. Er dreht Bilder von den Angriffen auf die Stadt und die Industrieanlagen. Ein Szenario zeigt eine Kriegsnacht, der Himmel ist dunkel, aber über der Stadt explodieren Bomben und Granaten, als würden die Häfler Silvester zur Jahrtausendwende feiern. Ein anderes Kriegsbild ist von der Schweizer Seite aus fotografiert, darauf abgelichtet ist die von Feuersbrunst hell erleuchtete Stadt Friedrichshafen, die sich im See wie eine einzige riesige Feuerfläche spiegelt.
Reproaufnahmen kosten Zeit, der Kameramann muss jedes Bild in ein anderes Licht setzen. Manchen Bildern muss er Leben einhauchen, sie brauchen Bewegung, wieder andere benötigen verschiedene Detailaufnahmen zur Erklärung. Leon sagt seinem Kameramann, auf was es ihm ankommt, nebenbei aber denkt er immer wieder an den gestrigen Abend.
Er muss dringend mit dem Kommissar reden, beschließt er. Auch wenn der sich ihm gegenüber während seiner Vernehmung ablehnend verhalten hat, so kann er aber nun sein Wissen nicht mehr allein für sich behalten. Er muss handeln.
Entschlossen geht Leon vor das Stadtarchiv, nimmt sein Handy, freut sich über die Ordnung, die ihm das digitale Telefonbuch beschert, und findet unter ›S‹ tatsächlich Kommissar Sibold. Er hat den Mann seit einem Jahr nicht mehr angerufen, früher hätte er die Telefonnummer längst verschlampt gehabt. Wenige Tastendrücke und die Leitung zu dem Kommissar steht.
»Ja!« – Nur diese einzige Silbe krächzt ihm entgegen, dann ist Ruhe in der Leitung. Leon erinnert sich wieder an die mühseligen Gespräche mit diesem Mann. »Leon Dold, Sie wissen schon, der Journalist aus Überlingen.«
»Ja.«
»Ich habe ein paar Informationen, die Sie interessieren dürften.«
Am anderen Ende der Leitung hört Leon ein müdes Stöhnen, doch er weiß die Situation zu nutzen und provoziert den Kommissar: »Sie haben keinen Verdächtigen im Fall Kluge?«
»Fragen Sie die Pressestelle«, antwortet Sibold mürrisch.
»Kann ich dort auch nach weiteren Leichen auf dem Grund des Sees fragen oder von der Pressestelle erfahren, ob Sie in diesem Fall etwas erfolgreicher ermitteln?«
»Was wollen Sie?«
»Mit Ihnen reden.«
»Tun Sie doch.«
»Unter vier Augen, ich habe Ihnen doch gesagt, ich habe was für Sie.«
»Rufen Sie im Kommissariat an, da gibt es
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