Bombenspiel
war langsam und ohne Martinshorn durch die Menschenmenge in Richtung Elefantenanlage gefahren. Vielleicht war ja nur jemand ohnmächtig geworden, hatte sie noch gedacht und im selben Moment die Absperrgitter, das rotweiße Band und die zahlreichen Polizeibeamten erkannt, die sich bemüht hatten, das Publikum auf Distanz zu halten. Sie hatte in ihre Handtasche gegriffen und den Journalistenausweis herausgezogen.
Das großräumig gestaltete und nur durch eine Mauer und einen Wassergraben von den Zuschauern getrennte Freigehege der Sumatratiger, Kernstück der Raubtieranlage, war ringsum abgesperrt worden, ein Mann mit der olivgrünen Latzhose der Wilhelmamitarbeiter, zwei Polizisten und offensichtlich Beamte der Spurensicherung hatten sich dort aufgehalten.
Dann hatte sie den Pressesprecher der Wilhelma entdeckt und war ihm ins Innere der Absperrung gefolgt. Ihr Blick war über das halbinselartige Gelände des Tigerdomizils geglitten, das im Hintergrund von den Fassaden des Raubtierhauses und nach vorne von einem breiten Wassergraben eingerahmt wurde, und schließlich bei einem grauhaarigen Mittfünfziger hängen geblieben, der sich Gummihandschuhe übergestreift hatte und einen Gegenstand am Boden zu untersuchen schien. Erst auf den zweiten Blick hatte sie den Toten entdeckt. Dort, wo von der Insel große Steinbrocken eine Art ausgetrockneten Wasserlauf formten, hatten, im tarnenden Dickicht des Pflanzenwuchses fast nicht zu erkennen, zwei Beine unter den Bambusstauden ins Freie geragt.
»Man hat die Leiche erst vor einer Stunde entdeckt«, hatte der Pressesprecher erklärt, »als die Pfleger die Tiger rauslassen wollten. Die Tiger oder auch irgendwelche anderen Tiere haben damit nicht das Geringste zu tun. Fest steht, dass keine Tiger in der Außenanlage waren, seit der unbekannte Tote wie auch immer in das Gehege gelangte.«
»Aber wie ist er dann ums Leben gekommen?«, hatte sie gefragt.
»Der Mann ist erschossen worden.«
Das Martinshorn riss sie aus ihren Gedanken. Sie ging zur Straße.
Die Spur hatte damals nach Afrika geführt, auf die Simba King Lodge.
Das Blaulicht reflektierte in den Scheiben der wenigen geparkten Autos.
Simba King. Dort hatte sie Alan Scott wiedergetroffen.
Das Blaulicht kam näher. Tauchte unter den weißen Leuchtbuchstaben auf. Die Brücke zur Schleyerhalle.
Jetzt war er weiter von ihr entfernt denn je.
100 Meter noch. Dann waren sie da.
Die Hochzeit war geplatzt.
Sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Autotüren, die zuschlugen. Schritte auf dem Asphalt. Blendende Lampen. Zwei Polizisten.
»Haben Sie den Notruf abgesetzt? Ihr Name?«
»Linda Roloff. Journalistin.«
»Und was ist passiert?«
Sie berichtete in knappen Sätzen. Von einem kurzen Anruf des Toten, der sie um das Treffen gebeten hatte, um ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Von dem Schuss, der die nächtliche Stille zerrissen hatte, gerade als sie auf die Arena zugegangen war. Davon, wie sie sich auf den Boden geworfen hatte, um kein sichtbares Ziel für einen weiteren Schuss zu bieten. Von dem Geräusch rennender Schritte Richtung Fritz-Walter-Weg; von dem anfahrenden Auto, das sich in Richtung Mercedes-Benz-Museum entfernt hatte. Und sie spürte, dass die Polizisten ihr kein Wort glaubten.
Sie atmete auf, als Minuten später die Kriminalpolizei eintraf. Den Hauptkommissar kannte sie. Kam vom Bodensee. Ein junger, ehrgeiziger Ermittler, verheiratet. Hatte vor zwei Jahren bei der Sonderkommission gearbeitet, als sie den Leopardenmörder gejagt hatten. War danach befördert worden. Kripo Stuttgart, Bienzles Revier. Er würde ihr glauben.
Die Kriminaltechniker sicherten den Tatort. Sie würden Spuren finden, die zu dem Schützen führten. Spuren, die ihre Unschuld bewiesen. Eine Frau, wahrscheinlich Ärztin, kniete bei der Leiche.
Der Hauptkommissar wollte alles noch einmal hören. Also berichtete sie erneut und blickte scheu zu dem Müllbehälter, in dem plötzlich das Handy des Ermordeten klingelte. Die Quintessenz der Botschaft, die ihr der Ermordete geschickt hatte, schoss ihr durch den Kopf, während ein Kriminaltechniker das Handy in der Mülltonne suchte: Der Weg in den Himmel birgt den Tod.
2007
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Sonntag, 25. November 2007, Stuttgart - 928 Tage vor dem Beginn der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika
Karin Fleischer verharrte vor dem Fernseher, obwohl sie sich für Fußball eigentlich nicht interessierte. Die ARD übertrug die Auslosung der
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