Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
wissen?«
»Ganz einfach, mein Lieber: Ich verkehre eben in völlig anderen gesellschaftlichen Kreisen als Sie«, entgegnete Dr. Hollerbach in arrogantem Tonfall. Mit emporgezogenen Augenbrauen verkündete er: »Der Oberbürgermeister von Bunkyo-ku hat bei seinem letzten Besuch einen Vortrag bei uns im Lionsclub gehalten, und uns dabei ganz stolz von seinem Freund Koizumi und dessen hoch angesehener, traditionsbewusster Familie berichtet.« Er warf die Hände nach oben. »Und jetzt dieses Fiasko!«
»Wäre es da nicht dringend angezeigt, BND, Verfassungsschutz, MAD usw. zu informieren?«, höhnte der Leiter der Mordkommission mit einem unglaublich breiten Grinsen auf den Lippen.
»Also, Tannenberg, jetzt mal im Ernst«, sagte Eberle: »Wir können diese delikate Angelegenheit wirklich nicht an die große Glocke hängen. Zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht müssen wir es ja irgendwann mal tun. Aber jetzt noch nicht! Nicht auszudenken, wenn die Presse davon Wind bekäme. Die würden uns doch glatt zum Gespött von ganz Deutschland machen.«
»Nicht auszudenken, wenn das Justizministerium davon Wind bekäme«, ergänzte Dr. Hollerbach in nahezu gleichem Wortlaut.
»Herr Oberstaatsanwalt, haben Sie eben auch dieses Geräusch gehört?«, warf Tannenberg dazwischen.
»Welches Geräusch denn?«
»Na, dieses metallische Klirren.«
»Was?«
»Ja, bei mir ist gerade der Groschen gefallen.« Höchst erfreut registrierte er Hollerbachs verdutztes Gesicht. »Mir ist nämlich eben schlagartig klar geworden, weshalb Sie angesichts dieser Lappalie derart in Panik geraten sind. Diese Hirngespinste sind doch völlig aus der Luft gegriffen. An diese Suizidvariante glauben Sie doch selbst nicht! Nein, nein, es steckt etwas ganz anderes dahinter: Sie haben mal wieder Angst um Ihre Karriere.«
Obwohl Tannenberg den ranghöchsten Vertreter der Kaiserslauterer Staatsanwaltschaft partout nicht ausstehen konnte, war er aus naheliegenden Gründen sehr daran interessiert, dass Dr. Hollerbach irgendwann auf der Karriereleiter die nächste Sprosse erklomm. Schließlich würde damit zwangsläufig ein Ortswechsel des Oberstaatsanwalts einhergehen.
Kriminaldirektor Eberle versuchte die erhitzten Gemüter ein wenig zu beruhigen. »Herr Kollege«, begann er mit sanfter Klangfärbung der Stimme, »auch wenn es sich bei dem, was Dr. Hollerbach orakelt, meines Erachtens eher um ein theoretisches Szenario handelt, sollten wir trotzdem alles in unserer Macht Stehende tun, um dieses Problem so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen. Schließlich steht zu befürchten, dass die Japaner möglicherweise sehr ungehalten reagieren werden. Ich bin mir zum Beispiel ziemlich sicher, dass man saftige Regressforderungen geltend machen würde. Und das ist eine sehr realistische Befürchtung.«
»Wie teuer ist denn eigentlich so ein Viech?«, wollte Tannenberg wissen.
»Preisgekrönte Kois haben bei Auktionen schon 700 000 Euro und mehr eingebracht«, entgegnete der Oberstaatsanwalt.
»Wahnsinn!«
Dr. Hollerbach zuckte mit den Schultern. »Aber den Wert der gestohlenen Exemplare kann ich beim besten Willen nicht einschätzen. Die Japaner haben sich über dieses Thema ausgeschwiegen. Wahrscheinlich aus gutem Grund.«
»Ist Ihnen nun endlich der Ernst der Lage klar, Herr Hauptkommissar?«, fragte Eberle. Ohne eine mögliche Antwort abzuwarten, ergänzte er: »Deshalb müssen wir diese Angelegenheit so schnell wie möglich in den Griff kriegen – und zwar intern!«
»Und wie stellen Sie sich das vor?«
»So schwer kann das ja wohl nicht sein, Herr Hauptkommissar«, versetzte Eberle. »Die Kois müssen ja schließlich irgendwo abgeblieben sein: in einem Aquaristikcenter, in einem Forellenweiher …«
»In einer Tiefkühltruhe«, ergänzte der Leiter des K 1.
Er erntete damit allerdings lediglich einen entsetzten Blick des Oberstaatsanwalts.
Unterdessen fuhr Eberle fort: »Der Fang und der Abtransport der Tiere waren sicherlich eine größere Aktion.«
»Klar, das dauert schon seine Zeit«, stimmte Tannenberg zu. »Man muss diese Viecher ja erst mal einfangen.«
»Nein, das sehen Sie völlig falsch«, bemerkte Dr. Hollerbach mit gequälter Miene.
»Wieso?«, sprudelte es nahezu gleichzeitig aus zwei Mündern.
»Kois sind sehr zutrauliche Tiere. Wenn man sich intensiv mit ihnen beschäftigt, werden sie sogar handzahm. Ich habe auch vier Kois im Gartenteich.« Er legte eine kurze Pause ein. Mit glänzenden Augen schob er nach: »Wenn man
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