Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
Rechtsmediziner ebenfalls für die Verlockungen der Hausmannskost zu begeistern. Urplötzlich verspürte auch er weit mehr Appetit auf eine Pfälzische Hausmacherplatte als auf die vermeintlichen Delikatessen der fernöstlichen Küche.
Wie gewöhnlich waren die beiden Freunde auch diesmal wieder in der Lage, die nun anstehenden Probleme gemeinsam und umgehend einer Lösung zuzuführen: Während Dr. Schönthaler sich in seinem Büro umkleidete und bereits beim ersten Telefongespräch einen bereitwilligen Abnehmer für die drei noch völlig unberührten Sushiplatten fand, versetzte Tannenberg den Sektionsraum wieder zurück in seinen Normalzustand.
Das, was sowohl Herz als auch Magen so sehnlichst begehrten, fanden die beiden zecherprobten Kumpane im Stüterhof, einem vor den Toren der Stadt gelegenen, idyllischen Landgasthof, den sie in solchen existentiellen Notlagen schon des Öfteren angesteuert hatten.
6
Die digitale Studiouhr zeigte 20 Uhr 10. Mariekes Herz schlug immer schneller. Dem Baby in ihrem Bauch blieb die Anspannung seiner Mutter natürlich nicht verborgen. Es reagierte mit heftigen Strampelbewegungen.
»Ich bin ja so unheimlich aufgeregt«, seufzte Marieke. »Unser Sohn spürt das auch. Fühl mal«, hauchte sie Maximilian liebevoll ins Ohr. Sie ergriff seine Hand, legte sie vorsichtig rechts neben ihren stark hervorgewölbten Bauchnabel. »Der kleine Kerl ist anscheinend überhaupt nicht damit einverstanden, dass ihn seine Eltern diesem Lärm aussetzen. Und dann auch noch diese Hitze und diese stickige Luft hier drinnen.«
»Schatz, wenn’s dir zu viel wird oder wenn es dich zu sehr anstrengt«, meinte Max mit sorgenvoller Miene, »dann gehen wir nach Hause. Du musst es nur sagen.«
»Nein, so schlimm ist es nun auch wieder nicht«, beschwichtigte Marieke. »Ich bin ja schließlich nicht krank, sondern nur schwanger. Außerdem kann ich doch meine Familie jetzt nicht im Stich lassen.«
Maximilians Mimik entspannte sich. Die ernsten Züge verschwanden und wurden durch ein strahlendes Lächeln ersetzt. Sein gesamtes Gesicht leuchtete auf. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf das, was sich da gerade unter seiner Handfläche abspielte. Deutlich spürte er die unkoordinierten Bewegungen des Fötus, die ab und an kleine Beulen in die pralle Bauchdecke drückten.
»Du bist wirklich eine tolle, starke Frau!«, sagte Max. »Ich bin so mordsmäßig stolz auf dich.«
Er küsste sie zärtlich auf die Wange, während er ihren kugelförmigen Bauch streichelte. Dabei ruhte sein Blick einen Moment lang auf Margot Tannenbergs faltigen, mit Altersflecken übersäten Händen, die in ihrem Schoß einen Rosenkranz umschlossen hielten. Im Gegensatz zu Marieke, die sich in ihrem Sitz weit nach hinten gelehnt hatte, saß die Seniorin ein wenig nach vorne gebeugt. Von ihren schmalen Lippen konnte man ablesen, dass sie ein ›Ave Maria‹ nach dem anderen betete.
Mariekes Mutter, die links neben ihrer Oma saß, war kurz vor Beginn der Sendung die Nervosität in Person: In stetem Wechsel knibbelte sie an ihren Nägeln herum, fuhr sich mit den Fingern in ihre kupferfarbene Lockenpracht, schüttelte den Kopf, rutschte unruhig auf ihrer Sitzschale hin und her, trippelte mit den Füßen auf der Stelle oder zupfte am Saum ihrer indischen Bluse herum.
Plötzlich dröhnte die bekannte Erkennungsmelodie der Unterhaltungssendung aus mächtigen Lautsprecherboxen. Zeitgleich mit dem Erscheinen des Starmoderators auf der Bühne brandete tosender Applaus auf.
Während der Anklatscher außer Sichtweite der Kameras weiter die Menge anheizte, spielte Marco Kern für die Zuschauer zu Hause an den Fernsehgeräten routiniert seine Rolle. Es war die eines von den euphorischen Ovationen der Hallengäste völlig überraschten Moderators, dem es nur mühevoll gelingen wollte, die Beifallsstürme zu bändigen. Auf Handzeichen des Einpeitschers hin ebbte die einstudierte Woge der Begeisterung geschwind ab und Marco Kern konnte nun endlich seine ritualisierten Begrüßungsformeln herunterspulen.
Danach wurden die Kandidaten der heutigen Quizshow präsentiert: Jede der vier an der Startrunde teilnehmenden Familien erschien nacheinander en bloc auf der Bühne. Die Tannenbergs waren das einzige Team, das ausschließlich aus Männern bestand. Marco Kern stellte jeweils die verschiedenen Familienmitglieder kurz vor und begleitete sie anschließend zu einem der vier knallroten Ledersofas, die halbkreisförmig auf der linken Hälfte der
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