Bonbontag
Jungen aus und Jungen wie Mädchen, wenn es schnell geht, kann man sie nicht auf Anhieb unterscheiden. Oder?
Auch die Telefonnummer fand sich. Sie rief an und hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Im Verlauf des Vormittags kam kein Rückruf.
Vermutlich war die Anzeige gegenstandslos. Wahrscheinlich. Aber wenn nicht? Sie dachte an einen missbrauchten kleinen Jungen. An ihre Verantwortung. Andererseits. Wäre in der Gegend ein Kind verschwunden, hätten sie doch sicher davon gehört. Sollte sie die Polizei anrufen und es überprüfen?
Zum Glück kam ein vorab vereinbarter Termin dazwischen. Könnte man den Fall zur Klärung an den ASD weiterreichen?
Am Nachmittag, unmittelbar vor Dienstschluss, kam ein Moment, in dem nichts zu tun war. Die unerledigte Anzeige leuchtete in Form eines Erinnerungszettels auf dem Schreibtisch. Sie griff zum Telefon.
Es läutete. Es läutete und läutete. Erleichterung: Sie hatte alles getan, zum Glück meldete sich niemand.
Aber dann.
Die Stimme eines Mannes. Ganz normal. Eine Stimme, die anständig klang. Ihr kam die Warnung aus einer Vorlesung in den Sinn, die äußere Hülle ...
Aber auch ein Hausbesuch konnte schnell vereinbart werden.
Sie lugte in Seijas Zimmer. Sie telefonierte wieder, offenbar war eine Kollegin am Apparat. Seija schilderte einen Fall, ein kleines Mädchen, um das die geschiedenen Eltern stritten. Helena hörte zerstreut zu.
Nach dem Ende des Gesprächs sprang Seija auf, als wollte sie zu verstehen geben, dass ihr Arbeitstag nun beendet war. Helena berichtete von ihrem Telefonat.
»Ich habe mit dem Mann vereinbart, dass ich vorbeikomme ...«
»Heute noch?«, fragte Seija und blickte auf die Uhr.
»Ich dachte ... wenn ich nach Hause fahre, liegt das praktisch auf dem Weg.«
Seija zuckte mit den Schultern. Musst du selbst wissen. Helena musste sich alle Mühe geben, um den Mund aufzubekommen: »Ich wollte dich fragen ... ob du mitkommst.«
Im Treppenhaus erlosch das Licht. Helena drückte zum wer weiß wievielten Mal auf den Schalter.
Seija erklärte, sie habe keine Lust, länger zu warten, und machte sich auf den Weg nach unten.
»Sollte man beim ASD nachfragen, beim Notdienst?«, fragte Helena, zwei Stufen über ihr.
Seija murmelte seufzend etwas vor sich hin, Helena verstand es nicht. Draußen wiederholte sie ihre Frage.
»Das ist schon ziemlich diffus alles«, antwortete Seija. »Wir werden morgen weitersehen.«
An der Hausecke trennten sich ihre Wege. Helena war noch nicht weit gekommen, als sie Seijas Stimme hörte.
»He ... Hast du eine Bitte um Kontaktaufnahme hinterlassen?«
Helena drehte sich um.
»Was?«
»Einen Zettel im Briefkasten, dass es was zu besprechen gibt. Damit sie sehen, dass du vor ihrer Tür gestanden hast.«
»Hab ich vergessen.«
»Na, man kann auch später noch ...«
»Wie wär’s, wenn wir es jetzt noch machen?«, schlug Helena vor.
»Ich muss los«, erklärte Seija.
»Geh nur ... ich lauf schnell noch mal hoch und werfe einen Zettel durch den Briefschlitz.«
»Kommst du klar?«
»Na sicher.«
Die berühmten letzten Worte, dachte Helena guter Dinge.
2
Ari blickte sich um.
Der Mann war noch immer hinter ihnen, der Abstand war nicht kleiner und nicht größer geworden.
»Also, was ist hier jetzt ...«, rief Ari Paula zu, die ihm mehrere Schritte voraus war. Sie hielt das Tempo, trotz ihrer ziemlich hohen Absätze.
»Komm nur ... ich erkläre es dir gleich ...«
Ari legte einen Zahn zu, ging voran, zeigte den Weg. Sie gingen durchs Hoftor, nun war es am besten, quer über das Grundstück abzukürzen. Wer weiß, was für ein Verrückter ihnen auf den Fersen war. Ari spürte, wie ihm Schnee in die Schuhe drang, wie musste das erst bei der Frau sein.
»Paula! Jetzt bleibst du stehen!«, rief es hinter ihnen.
Der Hauseingang lag nun direkt vor ihnen. Schnell hinein. Ein paar Stufen hinauf und dann in den Aufzug. In dem Moment hörte man die Haustür aufgehen. Stockwerk für Stockwerk holperte der Lift nach oben.
»Paula!«, wurde unten gerufen. Dann schnelle Schritte auf der Treppe, der Mann rannte.
Die Lifttür ging auf.
»Paula!«, rief es ein Stockwerk tiefer.
Noch wenige Schritte bis zur Tür, Ari zog den Schlüssel aus der Tasche, hielt inne.
Vor der Tür stand eine große, schwankende Frau.
»Guten Tag ...«, sagte sie und blinzelte nervös. Sie trat zur Seite, als Ari den Schlüssel ins Schloss schob. »Helena Lind vom Jugendamt ...«
»Paula!«, rief es nun auf der Höhe
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