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Bonbontag

Bonbontag

Titel: Bonbontag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Nummi
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Angst lässt einen Menschen manchmal sonderbar aussehen.
    »Soll ich die Polizei rufen?«, fragte Ari.
    Paula überlegte kurz.
    »Da draußen steht doch jemand vom Fach. Die müsste die Person einschätzen können.«
    Ari dachte an die hilflos schwankende junge Person im Treppenhaus.
    Das Hämmern an der Tür hatte sich gelegt. Es wurde gesprochen. Hatte Paula Recht?
    »Setzen wir uns?«, fragte er und wies in die Küche. »Möchtest du etwas? Etwas zu trinken oder ...«
    »Ein Glas Wasser«, sagte Paula. »Oder hättest du vielleicht was ... was Stärkeres, weißt du?«
    Sie setzte sich an den Küchentisch, hängte ihre Handtasche über die Stuhllehne. Ihr forschender Blick, mit dem sie die Wände in der Küche von oben bis unten musterte, irritierte Ari. Sie kommentierte nicht den Zeitungsstapel auf einem Stuhl, nicht die auf der Arbeitsplatte vergessenen Töpfe und Dosen, nicht den Geschirrberg im Spülbecken, nicht die leeren Plastiktüten, die am Türgriff des Abfallschranks hingen, nicht all die kleinen und auch ein wenig größeren Gegenstände, die sich überall häuften, die Farbstifte, Haarspangen, Zettelchen und Zettel, die Filiale des Puppenhauses auf der Fensterbank. Sie kommentierte es nicht, aber es sah aus, als registrierte sie alles.
    »Ist ein bisschen unordentlich, weil ich gerade mit einer Arbeit beschäftigt bin und ...«, fing Ari zu erklären an.
    »Nein, ich bewundere das bloß«, sagte Paula, wobei sich ein massives Lächeln auf ihrem Gesicht breitmachte. »Ihr habt eine gemütliche Küche.«
    Ari wusste nicht, was er sagen sollte. Er nahm die Trittleiter, um ans oberste Fach zu kommen, wo die Cognacflasche stand.
    »Wie wär’s mit einem Cognac ...?«
    Paula starrte aus dem Fenster. Antwortete nicht sofort. Plötzlich sah sie anders aus. Müde, schrecklich müde.
    »Ein Cognac wäre ...«
    Sie fuhr zusammen, wandte sich kurz ab, und als sie ihr Gesicht wieder zeigte, war das Lächeln zurückgekehrt.
    »Großartig«, sagte sie. »Genau das brauche ich jetzt.«
    Ari fand ein Cognacglas im Schrank, für sich selbst nahm er ein Schnapsglas. Goss ein. Reichte Paula ihr Glas.
    »Könntest du mir das Ganze noch mal erklären, weil ...«, fing er an.
    »Absolut ... Du musst ja wissen, woran du bist.«
    Sie erzählte, ihr Ex-Mann habe entgegen aller Abmachungen verlangt, dass das gemeinsame Kind für den Rest der Skiferien zu ihm komme. Sie habe die Situation beruhigt, indem sie das Mädchen aus der Stadt und zur Großmutter gebracht habe. Nun wolle der Mann mit Gewalt herausfinden, wo das Kind war.
    »Möchtest du ... Wäre es nicht doch das Beste, bei der Polizei anzurufen?«
    Paula blickte auf ihr Glas und leerte es dann mit einem Zug. Wartete die Wirkung ab.
    »Nein. Das ist nicht nötig. So gut kenne ich den Kerl. Er hat jetzt Dampf abgelassen. Gleich klopft wahrscheinlich die Sozialtussi an die Tür und ...«
    Ein Handy klingelte. Intuitiv griff Ari in die Tasche, bis er begriff, dass es nicht sein Klingelton war. Paula hatte sich nach vorn gebeugt, mit wütender Miene, sie nahm die Handtasche, leerte sie auf dem Tisch aus. Portemonnaie, Schlüssel, Schokoriegel und Videokassetten rutschten heraus, ein abnehmbarer Fenstergriff aus Metall fiel klirrend auf den Haufen, und als Letztes kamen zwei Handys zum Vorschein, von denen eines im Takt des Klingeltons vibrierte. Paula schnappte es.
    »Was willst du Scheißclown?!«, rief Paula. »Hallo ... Nein, Verzeihung ... Entschuldigung, wer?«
    Sie unterbrach die Verbindung.
    »Verwählt«, murmelte sie und stopfte schnell ihre Sachen wieder in die Handtasche. Als sie den Griff nahm, nuschelte sie etwas von ewigen Problemen mit den Fenstern. Die Telefone schob sie tief in die Tasche, dann stieß sie die Tasche von sich weg, als wäre sie verseucht.
     
    Für Ari sah das seltsam aus. Paula sah seltsam aus.
    »Ist alles ...«, fragte er vorsichtig.
    »Ja. Alles in Ordnung«, sagte Paula, und das außergewöhnliche Grinsen kehrte in ihr Gesicht zurück. »Und wie. Verdammt in Ordnung. Vor der Tür ein Wahnsinniger, der mich erwürgen will. Und bald stehen hier ...«
    Sie brach ab, wirkte plötzlich nachdenklich. Dann sprang sie auf.
    »Vielleicht ist es doch am besten, wenn ich mit ihm rede.«
    »Bist du sicher ...«, fing Ari an, aber Paula war schon auf dem Weg in den Flur.
    »Wir sind erwachsene Menschen, da muss man doch miteinander reden können ...«, meinte sie sonderbar unbekümmert.
    Ari machte sich Sorgen. Sie hatte doch nicht etwa vor, die

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