Bonbontag
Amtshilfe gebeten.
Als wir die Wohnung erreichten, war Anttila alleine dort. Seiner Aussage zufolge hatte der Junge die Wohnung verlassen, ohne dass Anttila es bemerkt hatte. Wie sich herausgestellt hatte, hatte das Handy des Jungen doch funktioniert. Er hatte, wie er Anttila gegenüber behauptete, eine SMS von seiner Mutter erhalten. Über den Inhalt der SMS konnte Anttila nichts Genaues sagen. Der Junge hatte erklärt, seine Mutter sei verreist und käme übermorgen zurück. Möglicherweise traf dies auch auf den Vater zu. Der Junge war allein, weil seine Aufsichtsperson erkrankt war.
Als Beweis für den Besuch des Jungen präsentierte Anttila eine Kindermütze, die auf dem Fußboden gelegen hatte.
Unklar blieb, ob sie womöglich Anttilas Tochter gehörte. Die Tochter war nicht anwesend. In der Wohnung gab es ein kindgerecht eingerichtetes Zimmer.
Aus dem Personenregister geht hervor, dass Anttila in unehelicher Lebensgemeinschaft lebt und eine Tochter hat, für die er das volle Sorgerecht besitzt.
Als Beruf gab Anttila Schriftsteller und Drehbuchautor an. Wir hatten den Eindruck, dass er über eine ziemlich lebhafte Fantasie verfügt.
Vorläufig besteht kein Anlass zu weiteren Maßnahmen.
Katri Korhonen, Sozialer Notdienst im ASD
Petri Salmi, Sozialer Notdienst im ASD
12
Katri las den Bericht noch einmal durch und entfernte den Satz mit der lebhaften Fantasie.
Sie hatte ihn ursprünglich hingeschrieben, um sich an das zu erinnern, was sie komplett weggelassen hatte.
Die Geschichte war nämlich von Anfang an merkwürdig gewesen. Der Anrufer, diese Person, die sich als Schriftsteller bezeichnete, wirkte auf unbeholfene Weise ehrlich. Ein Pädophiler, war ihr erste Gedanke gewesen. So klangen sie, so sahen sie aus, ganz gewöhnlich, ehrlich, jedenfalls am Anfang. Aber dann passte plötzlich etwas nicht ins Bild. Sowie auch in diesem Fall. Die Schilderung war schlicht und einfach unglaubwürdig. Ein kleiner Junge, der sich an einen fremden Mann hängt und ihm bis in die Wohnung folgt. Fragt sich, auf wessen Initiative. Kinder, die von ihren betrunkenen Stiefvätern geschlagen wurden, hängten sich eher an Rockschöße als an Hosenbeine, das wusste Katri aus beruflicher Erfahrung.
Andererseits: Warum sollte ein Perverser beim Kinderschutz anrufen? Ein Ersttäter vielleicht, dem das Ganze außer Kontrolle geraten war, dem die Nerven versagten? Ein kleiner Junge, der sich in der Toilette eingeschlossen hatte und da irgendwie rausgeholt werden musste? Vielleicht war noch gar nichts passiert. Vielleicht hatte der Junge sich retten können, als der Mann versprach, ihm das Flugzeugmodell, das im Schlafzimmer im Regal stand, zu zeigen.
Katri war nicht zufrieden mit ihren verschiedenen Versionen, aber schlechter als die Aussage des Mannes waren sie nicht.
Von Angesicht zu Angesicht war dieser Ari Anttila glaubwürdig gewesen. Seine Geschichte mit der Mütze deutete in ihrer Plumpheit eher auf Ehrlichkeit hin. Auf dem Tisch hatte eine angebrochene Tafel Schokolade gelegen, ein echter Schokoladenonkel hätte die nicht so offen liegen lassen.
Katri druckte den Bericht aus und brachte ihn Petri zum Gegenlesen. Sie sagte, sie koche Kaffee. Petri versprach, nachzukommen, sobald er seinen Papierkram erledigt habe.
Katri ging den grauen Gang entlang, den fast jeder andere als unpersönlich, kahl und trostlos bezeichnet hätte, und fühlte sich wie daheim. Sie hörte Sanna telefonieren, besonders viel schien sie dabei nicht zu Wort zu kommen. Keijo saß auf seinem Platz an der Pforte. Als sie sah, dass der Pausenraum leer war, freute sich Katri.
Petri war ein angenehmer Kollege, jünger als sie, stets bereit, Ratschläge anzunehmen, er überließ Katri die Führung, ließ sie die Entscheidungen treffen, war aber kein reiner Ja-Sager. Katri fuhr gern mit einem Mann zu Einsätzen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen, denn man konnte ja immer eine Polizeistreife hinzubitten, sondern weil dann die Arbeit besser lief. Es war irgendwie – sie kostete das Wort leicht erstaunt, aber zufrieden auf der Zunge – netter. Außerdem war es mit einem Mann leichter, streitende Paare zum Sprechen zu bringen.
Katri mochte Petri, und sie mochte ihre Kolleginnen, fast alle, dennoch war sie froh, dass jetzt noch niemand zum Kaffeetrinken gekommen war. Ihre Vorlesung hatte sie fertig, die Korrekturen hatten für mehr Klarheit gesorgt, am besten blieb man eben immer dicht an der Sache. Für den historischen Teil konnte sie auch
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