Bonbontag
zum Vorschein.
Paula warf einen flüchtigen Blick darauf. End of discussion. Saari torpedierte jedoch ihre Absicht.
»Ein prächtiger Junge.«
»Hast du ... Bild von Kind?«, ereiferte sich Amir.
Nein, hätte sie sagen müssen.
Aber sie sagte ja.
»Zeig, zeig«, ermunterte sie Amir.
Das kann nicht wahr sein. Das ist die versteckte Kamera. Das bin nicht ich, dachte Paula, als sie ihr Portemonnaie aufklappte.
Da war Mirja. Sie hatte nicht daran gedacht, dass dasFoto schon zwei Jahre alt war, in der Vorschule aufgenommen. Wieso hatte sie keines vom letzten Herbst? Mirja muss gefehlt haben, als die Schulfotos gemacht wurden, ja genau, da war das mit dem Hausarrest, und davor, in der ersten Klasse ... Da war Pentti ... Da hatte sie Pentti auf die Straße gesetzt, und die Bilder waren irgendwie verloren gegangen.
»Altes Bild«, sagte sie, schaute es aber weiterhin an. Mamas kleine Mirja. Sie sah genauer hin. Immer derselbe, ein bisschen schiefe Gesichtsausdruck, als wäre ihr nichts recht.
»Schönes Mädchen«, meinte Amir. »Kommt Mama.«
»Kommt nach der Mama«, korrigierte Paula.
Schönes Mädchen, dachte sie.
Sie blickte auf das Foto in Amirs Hand. Der Junge hatte die Nase seines Vaters geerbt.
Ungleich verteilt sind des Lebens Güter, dachte Paula.
Sie drehte sich um, schaute auf die Schemazeichnungen. Aber ein Gedanke lenkte sie ab. Ob Pentti manchmal anderen Leuten das Foto seiner Tochter im Portemonnaie zeigte? Dieses zwei Jahre alte Bild?
Fängst du wieder an zu schniefen?, verhöhnte sie sich selbst.
Sie wandte sich erneut Amir zu. Zauberte das glücklich leuchtende Lächeln der Mutterschaft auf ihr Gesicht. Knipste das Portemonnaie zu.
Des Lebens Güter sind nicht gleich verteilt.
10
Ari wollte schon die Notrufnummer wählen, er überlegte bereits, wie er den Fall schildern sollte, ging dann aber dochzuerst an den Computer und schrieb versuchsweise »Sozialamt Familienberatung« ins Suchfeld. Dann noch ein paar Ergänzungen: »Kinderschutz« und darunter »sozialer Notdienst«.
Sozialer Notdienst! Na klar!
Adresse, Telefonnummer ...
Für einen kleinen Moment kam sich Ari kompetent vor. Er spähte noch einmal kurz aus seinem Zimmer, sah den Jungen ins Buch vertieft auf der Couch sitzen und schloss gemächlich die Tür.
Er wählte die Nummer.
Es meldete sich sofort jemand und bat höflich, einen Moment zu warten.
Das finnische System funktioniert, triumphierte Ari. Die Räder des Wohlfahrtsstaates drehen sich, auch wenn es ab und zu mal knirscht. Die Frau kam an den Apparat zurück, ihre Stimme war kühl, reserviert.
Ari sah flüchtig die dazugehörige Gestalt vor sich, eine Frau aus der älteren Abteilung des mittleren Alters, die Haare zum Dutt hochgesteckt, ein bisschen dicklich. Aber in der Stimme steckte Energie, Wachsamkeit.
»Hier ist Ari Anttila. Ich wollte um Rat fragen, weil ... Mir hat sich ein kleiner Junge angeschlossen, der nicht ... der sagt, dass er nicht nach Hause findet. Irgendwas stimmt da nicht. Der Junge hat Hämatome am Arm ... Als würde er sich nicht trauen ... Ich bin nicht verwandt mit ihm ... In keiner Weise ...«
Die Frau erkundigte sich nach dem Namen des Jungen. Ari sagte, der Junge sei nicht recht bereit gewesen, ihn zu nennen.
»Nicht recht bereit gewesen, ihn zu nennen?«, wiederholte die Frau.
»Genau.«
Kurze Stille. Am anderen Ende der Leitung wurde über etwas nachgedacht, Ari konnte sich nicht vorstellen, worüber. Dann ging das Gespräch flüssig weiter. Die Frau sagte, es werde so schnell wie möglich jemand kommen.
»Könnten Sie tatsächlich ... Aber das wäre ja großartig«, freute sich Ari.
Er nannte seine Adresse, lieferte überschwänglich eine genaue Wegbeschreibung.
»Wir finden das schon«, erwiderte die Frau trocken.
»Danke noch mal!«, rief Ari. Er beendete das Gespräch, drehte sich um und erschrak. Der Junge hatte geräuschlos die Tür geöffnet und sah ihn an.
»Wer war das?«, fragte er.
Ari erzählte ihm, eine Frau werde kommen, und dann könnten sie zusammen überlegen, wie er nach Hause käme.
»Ich will nicht nach Hause.«
Ari sagte, dann müsse er wahrscheinlich sonstwohin, wo es schön sei ...
»Hier ist es schön.«
Der Junge schaute Ari in die Augen, sein Blick war flehend, und jetzt war Ari derjenige, der auswich.
»Kann ich nicht hierbleiben?«
»Na ja ... das entspricht eigentlich nicht den Bestimmungen. Aber reden wir darüber, wenn die Frau kommt.«
»Die Bestimmungen sind totale Scheiße!«, schrie
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