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Bonbontag

Bonbontag

Titel: Bonbontag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Nummi
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Tomi. »Ich hab plötzlich voll Durst.«
    Ari goss die letzte für den Morgenkaffee reservierte Milch in ein Glas. Tomi leerte es sofort. Ari ließ Wasser laufen, nahm das Glas und füllte es.
    Tomi trank. Ari legte weitere Würstchen auf den Teller des Jungen.
    »Also eigentlich bin ich Doktor Kilmore, oder einfach der Doc«, sagte Tomi und schaute Ari direkt in die Augen. Es war ein flehender Blick. »Und ich müsste eigentlich der Zessi helfen ... der Prinzessin ... also ... also der Mirabella. Glaubst du mir das?«
    Ari wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Gut, ich glaube dir«, sagte er schließlich. »Aber du musst es mir etwas genauer erklären.«
    Da fing Tomi an zu erzählen.
    Und der Schriftsteller konnte nur noch zuhören, würde Ari in seinem Roman schreiben.
17
    Katri wälzte sich eine Zeitlang im Bett hin und her. Sie war müde, aber der Schlaf wollte nicht zurückkommen.
    Sie stand auf, ging vorsichtig im Dunkeln zur Tür, blickte hinter sich. Risto war nicht aufgewacht. Sie schlich nach unten, nahm ihre Unterlagen, setzte sich auf die Couch und schaltete die Leselampe ein.
    Leider erschien Mattis Mutter auch zu diesem Termin nicht.
     
    Vor vier Jahren saßen sie am runden Tisch im Pausenraum des Kinderheims und warteten. Eine Erziehern, die zuständige Sozialarbeiterin und sie. Drei Frauen. Die vierte fehlte. Die Mutter war nicht gekommen.
    Schon im Gehen, fragte Katri, wo der Junge sei. Die Erzieherin schaute sie verwundert an und machte eine kleine Bewegung mit der Hand. Dort.
    Der Junge stand zwei Schritte von ihr entfernt in der Ecke, mit einem Stoffwesen im Arm. Ebenso regungslos wie die Stehlampe, in deren Licht er sich begeben hatte.
    Katri machte einen Schritt auf den Jungen zu, hielt inne. Erst da begriff sie, dass er zu dem Stofftier sprach, ganz leise, die Lippen bewegten sich kaum.
    Die Mama kommt schon, sagte der Junge, bestimmt kommt sie. Ganz bestimmt.
    Es war nicht die erste und einzige Mutter, die nicht kam.Von den Vätern ganz zu schweigen. Es war nicht das erste und einzige kleine Kind, das ein weiches Wesen im Arm hielt und es tröstete.
    Aber der Junge war der erste, der vor ihren Augen unsichtbar gewesen und dann sichtbar geworden war. Der erste, der ihr nach der Enttäuschung in die Augen sah. Nicht vorwurfsvoll. Nur fragend. Wie lautete die Frage noch genau? Gab es Worte dafür?
    Der Junge fragte vielleicht, was »bestimmt« und »ganz bestimmt« bedeutete. Oder was »Mama« und »kommen« bedeutete.
    Sie konnte die Frage nicht beantworten. Der Junge tat ihr einfach unglaublich leid. Sie sah ihn an und versuchte, es mit den Augen auszudrücken.
    »Deiner Mutter ist wahrscheinlich etwas dazwischengekommen«, sagte sie laut. »Zeigst du mir dein Zimmer? Das sind aber schöne Teddy-Vorhänge.«
    Der Junge antwortete: »Ich hab drei Lichter. An der Decke, auf dem Tisch und neben dem Bett.«
    Er hatte alle Lampen angemacht. Sie brannten, seit er in dieses Zimmer gekommen war. Die Erzieher schalteten sie nachts aus, aber am nächsten Morgen brannten sie wieder.
    »Na, dann tschüs«, sagte sie.
    Da rannte der Junge in ihre Arme und drückte sie. Er drückte die Frau, die versprochen hatte, dass seine Mama kommt, die dann nicht kam. Wie um die Sozialarbeiterin, die ihre professionellen Schutzmechanismen vergessen hatte und für einen Moment wieder zur unerfahrenen Anfängerin geworden war, zu trösten. Wie um ihr zu sagen: macht nichts. Ich weiß auch nicht, was alle Wörter bedeuten.
     
    Die Wörter. Vier Jahre später gelang es diesem Schriftsteller, die falschen Wörter zu wählen, die richtigen.
    Die falschen, was den Nachtschlaf betraf. Weil es die richtigen waren.
    Das unsichtbare Kind.
    So sah ihr Schutzschild gegen alle anderen Geschichten aus. Unsichtbar, fast unsichtbar. Dem Jungen sah man nur die Enttäuschung an.
    Darüber musste sie reden.
18
    »Spulen wir noch mal ein Stück zurück«, sagte Ari. »Also, dein Vater und deine Mutter wohnen an verschiedenen Orten und deine Großmutter ...«
    »Natürlich wohnen sie an verschiedenen Orten«, erwiderte Tomi gereizt.
    »Und deine Großmutter ist krank geworden.«
    »Genau.«
    »Und du wolltest oder konntest nicht mehr dort hingehen oder hast dich nicht getraut.«
    »Ich wollte und konnte nicht und hab mich nicht getraut«, antwortete Tomi.
    »Ein Kreuzchen bei jeder Antwort?«
    »Genau«, ereiferte sich Tomi. »Ein Kreuzchen bei jeder Antwort!«
    Ari überlegte. Etwas an der Geschichte fehlte noch. Eine Bande Jugendlicher

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