Bonbontag
... irgendwo hinbringen. Wahrscheinlich zu seiner Mutter. Er würde gleich am Morgen anrufen. Aber Ari ahnte, dass es besser wäre, dem Jungen jetzt nichts davon zu sagen.
»Wir sehen morgen früh weiter«, sagte er, erleichtert, die Entscheidung aufschieben zu können. »Aber jetzt gehen wir schlafen.«
Ari schickte Tomi auf die Toilette, ganz automatisch, als kommandierte er sein eigenes Kind.
Ari zeigte Tomi sein Bett.
»Du kannst hier schlafen.«
Tomi sah neugierig zu, wie Ari seine Matratzenauflage und seine Zudecke vom Bett nahm, ein frisches Laken ausbreitete und Leenas Seite herrichtete.
Womöglich fragte er sich, was die Umstände sollten, sagte aber nichts, fragte auch nicht, warum er nicht im Zimmer des Mädchens schlafen konnte. Er war mit dem großen Bett zufrieden.
Warum konnte der Junge nicht in Annis Bett schlafen? Ari wusste selbst nicht genau, warum er das nicht wollte. Komisch. Ein Vater, der auf seine Tochter eifersüchtig war? Obwohl sie mehrere hundert Kilometer entfernt war und noch ein Jahr brauchte, bis sie sich für Jungen interessierte.
Ari schaltete das Licht aus und schloss die Tür. Im Wohnzimmer versuchte er zunächst die Matratzenauflage auf die Couch zu legen, trug am Ende aber das Bettzeug ins Kinderzimmer und zwängte sich in Annis Bett.
Der Vater hütete das Bett seiner Tochter.
Nach einigen Bemühungen fand er eine einigermaßen bequeme Position. Der Schlaf, die Ermattung konnten kommen.
Plötzlich erschrak er.
Tomi stand an der Tür und starrte ihn an.
»Was ist denn jetzt noch?«, fragte er ziemlich heftig.
»Nichts, ich wollte bloß ... also ... da drüben wär noch genug Platz für dich ...«, sagte Tomi und deutete hinter sich.
»Lass uns jetzt einfach so schlafen«, sagte Ari gespielt sanft.
»Na ja ... dann ...« sagte Tomi, blieb aber hartnäckig an der Tür stehen. Etwas plagte ihn.
»Was überlegst du? Stimmt etwas nicht?«, fragte Ari. Kaum hatte er das gesagt, fiel ihm all das ein, was nicht stimmte. Er merkte, dass Tomi etwas in der Hand hielt.
»Die Batterien sind leer«, sagte Tomi und zeigte seine Taschenlampe. »Ich hab gedacht ... könntest du vielleicht ...«
Ari nahm die Lampe und schraubte sie auf. Normale Fingerbatterien. Tomi genierte sich, als er erklärte, die Lampe vielleicht zu brauchen, wenn er zum Beispiel in der Nacht mal aufs Klo müsste. Ari öffnete den Besenschrank und nahm eine Plastikkiste heraus. Dabei dankte er Leena innerlich für ihren Ordnungssinn. In der Kiste fand sich eine ungeöffnete Packung Batterien, sogar die richtige Größe. Er legte sie ein und probierte sie aus. Der Lichtstrahl fiel blendend in seine eigenen Augen.
Blinzelnd gab er Tomi die Taschenlampe. Tomis dankbarer, bewundernder Blick amüsierte Ari zunächst, dann war er davon gerührt.
Er führte Tomi über den Flur, merkte, dass der Junge noch zögerte und sich nach allen Seiten umblickte.
»Wenn du willst, kann ich ein Licht brennen lassen.«
»Ich weiß nicht ... oder vielleicht wär das ganz gut«, stammelte Tomi.
Ari knipste das Licht im Flur an und brachte Tomi zur Schlafzimmertür. Gute Nacht, sagte Tomi. Gute Nacht, sagte Ari.
Der Vorhang war nicht ganz geschlossen, es sickerte Licht von der Straßenlampe herein. Trotzdem hatte der kleine Junge Angst vor der Dunkelheit.
Ari ließ die Tür einen Spaltbreit offen.
Über den Spiegel fiel das Flurlicht direkt in Aris Augen. Er konstruierte sich aus Stuhl und Tagesdecke einen Vorhang neben dem Bett. Es war schwer zu schlafen, wenn sich ein fremder Mensch in der Wohnung befand. Auch wenn es nur ein Kind war, nur ein halber ... nein, ein ganzer Mensch, mit einem ganzen kleinen Leben hinter sich und einem ganzen langen Leben vor sich. Vielleicht. Kinder können nicht ewig weinen. Und Kinder können nicht ewig Kinder bleiben.
Zwei Jahre lang wäre Anni noch bereit, ein Kind zu sein, ein ganzes Kind. Wenn überhaupt so lange. Heutzutage entwickelten sich die Mädchen schnell, zu schnell.
Bis dahin müsste man noch alles Mögliche tun ... was zum Beispiel? Eine Reise in den Süden. Das Kind am Strand umhertollen sehen. Damit es nicht immer bloß mit Gänsehaut an einem finnischen Ufer frösteln musste.
»Warum fahren wir eigentlich nie auf die Kanarischen Inseln?«, hatte Anni im Winter zuvor gefragt, als zwei Klassenkameradinnen in der Skiferienwoche in den Süden flogen. »Oder nach Thailand?«
»Weil wir die Umwelt schonen und lieber den finnischen Winter genießen«, hatte er ihr
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