Bonbontag
»Ganz so simpel ist es nicht. Der Anruf ging an mich, und es war eine Frau. Vermutlich eine ältere Person. Ich tippe auf eine Nachbarin ...«
»Also auf keinen Fall der Vater?«
»Das wäre dann der erste weibliche Vater, der mir begegnet wäre.«
»Ich meine ...«
»Natürlich könnte man sich vorstellen, dass der liebe Herr Papa jemanden vorgeschickt hat, die Oma oder die hilfsbereite Patentante«, fuhr Seija fort. »Aber irgendwie entstand der Eindruck, dass es jemand aus der Nachbarschaft war.«
»Und die letzte Meldung, die von der Mutter? Aus dem Fax geht nicht hervor, ob ihr Kontakt mit dem Vater aufgenommen habt.«
Wieder ein Seufzen. Seija erklärte, das Ganze sei auf die traditionelle Art schiefgelaufen. Adressen und Telefonnummern hatten sich geändert, im Amt sei jemand krank geworden, weshalb man erst vor zwei Wochen Kontakt mit dem Vater aufgenommen habe. Und der war offenbar gerade auf Dienstreise im Ausland gewesen.
»Die Leute reisen heutzutage wie die Wilden, sie wohnen Gott weiß wo, Elternschaft ist neuerdings eher eine elektronische Distanz-Angelegenheit, da stehst du als Sozialtante ziemlich doof daneben.«
Katri lachte zustimmend.
»Heute kam also wieder ein Anruf«, sagte Seija. »Der Herr des Hauses ist von seiner Reise zurückgekehrt. Er wär mir fast aus dem Hörer gekommen, so geladen war der. Hat gesagt, eine Kollegin seiner Ex habe ihn angesprochen. Ob mit der Dame alles okay sei.«
»Ach ja?«
»Der Herr hatte anscheinend bereits ein intensives Gespräch mit seiner Verflossenen geführt. Weißt du, was er mich gefragt hat? Ob seine Tochter im Schutzhaus ist.«
»Und? Ist sie es?«
»Darüber dürfen wir keine Auskunft geben«, sagte Seija im Amtston. »So habe ich es ihm gesagt. Klassisch, wie aus dem Lehrbuch.«
»Hätte es denn eine entsprechende Auskunft gegeben?«
»Nein. Eigentlich nein. Aber die liebe Ex-Ehefrau hatte dem Herrn genau das gesagt. Uns hat niemand informiert.«
»Was vermutest du?«
Seija vermutete, dass Mutter und Tochter zu Hause vor dem Fernseher saßen.
»Was hat der Herr denn für einen Eindruck gemacht?«
»Na ja, er hat es nicht ganz geschafft, durch die Leitung zu kommen, aber er hat sich alle Mühe gegeben. Er war nicht der erste schreiende Klient, für den man hätte Verständnis haben müssen.«
Seija skizzierte auf die Schnelle ein Bild: Der Mann ist auf Dienstreise, versucht von unterwegs, seine Tochter anzurufen, aber die Nummer ist nicht mehr gültig und die neue geheim. Als er nach Hause kommt, liegt eine Nachricht vom Sozialamt vor, er soll sich zum Gespräch einfinden. Dort muss er sich anhören, dass er seine Tochter vernachlässigt hat – um die er sich seiner Meinung nach immer bestens gekümmert hat. Der Christbaum bis zum Umkippen vollgehängt, ein fetter Weihnachtsschinken im Kühlschrank und ein Stapel Geschenke wie der schiefe Turm von Pisa. Und dann erzählt ihm seine Ex etwas vom Umzug ins Schutzhaus. Obwohl der Herr ihr nie auch nur ein Haar gekrümmt hat.
»So jedenfalls hat es der Anwalt des Herrn dargestellt«, beendete Seija ihren Monolog.
»Was sagst du zum Thema Haarkrümmen? Ist er gewalttätig?«
»Er ist ganz groß im Schreien. Was kann man daraus schließen? Vielleicht. Vielleicht nicht.«
Katri zeichnete zwei Strichmännchen auf das Deckblatt des Fax. Der durchgedrehte Schläger und der arme Papa, der seine Tochter vermisst, der anständige Mann. Es gab beide Varianten.
»Und die Dame ... diese Paula Vaara?«, fragte Katri mit Blick auf die Unterlagen. »Mit der hast du auch gesprochen ... zwei Mal.«
»Genau. Eher der harte Typ ... oder wie soll man sagen, taff«, berichtete Seija. »Aber du hast meinen Schrieb ja gelesen.«
»Was ich mich gefragt habe ... War da noch was anderes?«, fragte Katri an. »Irgendetwas, das man nicht ins Protokoll hatte schreiben wollen oder können?«
Seija erzählte, der Termin im Büro sei mit den normalen Spannungen verlaufen. »Sie stritt alles ab und machte auf furchtbar wütendes Mädchen.«
Präzisierend fügte Seija hinzu, die Spannung sei wohl doch etwas stärker gewesen als üblich. Paula Vaara habe das Gespräch mit der Kamera aufnehmen wollen.
»Sie hat die Kamera aufs Fensterbrett gestellt und von Rechtsschutz geredet und davon, dass sie sich selbst weiterentwickeln wolle.«
»Und was hast du gesagt?«
»Nur zu. Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite, wenn die Kundschaft versucht, sich weiterzuentwickeln.«
Von da an war das Gespräch sachlich
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