Bonbontag
Roman schreiben.
»Die sind ganz schön ... groß«, sagte er. Er versuchte, Kontakt zu dem Jungen herzustellen, der einige Schritte vor ihm ging.
Tomi war auf dem ganzen Weg durchs Krankenhaus vor ihm hergegangen. Ari war gefolgt, im Takt des Jungen, auf der von ihm gewählten Route.
Vielleicht sollte es so sein. Manchmal musste das Kind den Takt vorgeben dürfen, vielleicht auch die Richtung.
Von einem Ziel konnte man nicht unbedingt sprechen. Tomi schleifte die Füße durch den Schnee, als wollte er eine Loipe ziehen. Er schaute nicht zum Himmel, sondern auf die Erde, auf seine Schuhspitzen.
»Glaubst du, dass ...«, fing er wie beiläufig an.
»Ja?«, ermunterte ihn Ari und stellte sich darauf ein, eine anspruchsvolle Frage zur Entstehung bestimmter Witterungsphänomene beantworten zu müssen.
»Glaubst du, dass die Oma ... Dass sie wieder nach Hause kommt ... bald?«
Ari murmelte etwas Unverbindliches. Lieber hätte er mit vorzeitlichem Schulwissen die Entstehung der Schneeflocken zu erklären versucht. Wie sollte man das einem Kindsagen? Dass die Prognose schlecht war. Sag ihm einfach, wie es ist, probiere es aus.
»Deine Großmutter ist teilweise gelähmt, und wenn ... Vielleicht kann sie mit Hilfe von Rehabilitation wieder sprechen lernen. Aber das dauert seine Zeit. Sie wird Hilfe brauchen ... und es kann sein, dass sie nicht zu Hause wohnen kann.«
»Ich helfe ihr.«
»Das ist gut ... toll ... Dass du bereit bist, ihr zu helfen.«
»Ich helfe ihr! Hast du nicht gehört?!«, rief Tomi und rannte los.
Ari war überrascht, trabte hinterher. Tomi rannte voran, nicht unbedingt irgendwo hin, sondern fort von da, wo er gewesen war. Die Plastiktüte schlug gegen die Beine, aber er rannte hartnäckig weiter. Allmählich nahm das Tempo ab, wurde zum Gehen.
»Sorry«, keuchte Ari irritiert. Hatte er irgendwie verächtlich geklungen? »Na klar hilfst du ihr.«
»Reden wir nicht davon«, murmelte Tomi.
»Ich hab nur gemeint ...«
»Wir reden nicht darüber, ja.« Das kam scharf.
Sie gingen zur Straßenbahnhaltestelle. Warteten wortlos. Stiegen ein.
Tomi war in sich gekehrt.
Er hatte seinen Zufluchtsort verloren. Dachte er daran?
Und was ist mit mir?, fragte sich Ari. Wie sind meine Pläne, was den Jungen betrifft? Auf den Vater kann man mit Sicherheit nicht zählen. Die Mutter und deren Mann? Nicht wirklich Lust, sie anzurufen. Die Sozialtanten? Er konnte den Jungen ja nicht dauerhaft bei sich einquartieren. Das musste er ihm deutlich machen. Aber noch nicht gleich. Der Junge hatte jetzt genug zu verdauen.
Schauen wir zuerst nach dem Mädchen. Wie versprochen.
Tomi las seine Gedanken.
»Jetzt gehen wir nach Mirabella gucken, ja?«, sagte er fordernd. Verhandlungsspielraum gab es keinen.
Na gut, dachte Ari, besser frischer Zorn als lähmender Kummer.
»So haben wir es ja ausgemacht«, bestätigte er.
»Ich glaub ... dass ...«, sagte Tomi nachdenklich. »Dass Mirabella irgendwie eingesperrt ist ...«
»Das klingt furchtbar.«
Ari hörte Tomis Magen knurren.
»Hunger?«
Tomi zuckte mit den Schultern. Ein bisschen wie am Abend zuvor, bevor er den Topf mit den Spaghetti leerte.
»Dein Bauch sagt ja.«
Die Straßenbahn hielt an, Ari sah aus dem Fenster. Die Lichter einer Hamburgerreklame.
»Wir steigen hier aus!«
Im letzten Moment schafften sie es nach draußen. Plötzlich hatten beide enormen Hunger. Rasch gingen sie auf einen riesigen, von ewigem Sonnenschein erleuchteten Hamburger zu.
Tomi stieß Ari an.
»Was?«
»Bei dir klingelt’s ... Vibriert’s.«
Ari machte die Tasche auf, jetzt hörte er es auch.
Unbekannte Nummer.
Er zögerte kurz, dann meldete er sich doch.
3
Die Verbindung war da, es knackte.
»Einen Moment!« Gereizter Ton.
Katri sah auf die Uhr, da wo sie anrief, neigte sich die Arbeitszeit dem Ende zu. Man hörte unwilliges Rascheln mit Papier.
»So jetzt hab ich’s ...«, sagte Seija. »Der Fall ist wieder auf dem Tisch. Genau. Da läuft gerade ein ordentlicher Konflikt.«
Katri sagte, sie vermute, es könne ein Streit ums Sorgerecht dahinterstecken.
»Stimmt«, bestätigte Seija sofort. »Von beiden Seiten sind Meldungen gemacht worden, und erst heute wieder hat das Telefon geklingelt.«
»Heute?«
»Genau, aber vielleicht mal der Reihe nach.«
Katri sagte, das sei ihr recht.
»Im Dezember kam eine Fremdmeldung ...«, fing Seija an.
»War der Anrufer damals, bei der ersten Meldung, ein Mann? Also möglicherweise ...«, fragte Katri.
Seija seufzte.
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