Bonbontag
Ernst. Vielleicht ist die Mutter feiern gegangen und hat das Kind am Heizkörper angekettet.«
Katri kommentierte das nicht. Ihr kam ein Fall in den Sinn, bei dem sie fast nicht hingegangen waren. Sie fanden ein Baby in der Ecke des Wohnzimmers unter einem Haufen Müll. Es kam gerade noch rechtzeitig an den Tropf.
»Fahr halt hin. Im Ernst. Fahr hin. Für alle Fälle. Ich geh jetzt heim, aber warum solltest du nicht hinfahren. Du bist im Dienst und es ist dein Job.«
»Mal sehen. Danke für die Informationen. Und schönen Abend!«
»Ebenfalls.«
Katri dachte nach. Stellte sich vor, an der Tür zu klingeln. Sie fürchtete sich nicht davor, um Entschuldigung zu bitten, falls sie sich irrte.
Sie musste die Entscheidung nicht selber treffen.
Eilige Schritte auf dem Gang, Petris Kopf im Türrahmen.
»Anruf aus der Nachbarschaft ... schreckliches Geschrei. Offenbar hat ein Vater frühzeitig das Wochenende eingeläutet ... Angeblich hängt das Leben eines kleinen Jungen an einem seidenen Faden.«
4
Was konnte man in so einer Situation tun? Wen konnte man anrufen?
Guten Tag.
Entschuldigung.
Aber.
Aber ich habe da so ein Gefühl, dass nicht alles ... Dass nicht alles so ist, wie es aussieht. Was diese Person, was diese Frau betrifft.
Nichts auf dieser Welt ist so, wie es aussieht.
Stimmt. Aber ich habe Grund zu der Annahme, dass bei dieser Frau und ihrer Tochter die Dinge irgendwie ... aus dem Lot geraten sind. Die Tochter ist tagelang allein zu Hause. Nächtelang.
Erkki zuckte zusammen, jemand stand in der Tür.
»Hast du dich um den Kühlungsmonteur gekümmert, Erkki?«, erkundigte sich Ellen.
»Ja. Äh, nein. Danke, dass du mich daran erinnerst.«
Ellen sah Erkki forschend an.
»Ist alles ...?«
»Ja, ja, da war bloß ... noch was anderes.«
Erkki tat so, als sehe er sich den Dienstplan an. Als das Telefon klingelte, entkam er Ellens lauerndem Blick. Er schaute aufs Display: Amir.
Zuerst hörte man nur Rauschen und Lärm.
»Hallo ... Hier Amir ... Ich ruf an, weil ...«
Der Anruf kam mitten aus dem Straßenverkehr, Amir musste schreien, es war schwer, ihn zu verstehen.
»Die Frau ... die Regalfrau ... Paula ...«
»Ja?«
»Was?«
»Ja?«, schrie Erkki.
»Ich hab böses Gefühl ... Ist verrückt ... Stimmt was nicht ... hat ein Mädchen ... noch klein ...«
Erkki sagte, auch er habe das Gefühl, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugehe.
»Aber was kann man da tun?«, lamentierte er. »Ich kenne die Verwandten nicht und ...«
Amir unterbrach ihn: »Sozialamt ... ruf da an ... Dort gibt’s Beratung ...«
Erkki zögerte. Amir erklärte, er habe dort schon mal für jemanden gedolmetscht. Er war sicher, dass sich in dem Amt jemand fand, der helfen konnte.
»Guckst du im Telefonbuch ... oder Internet ... Dort Beratung ... Ruf gleich an!«
Erkki bedankte sich für den Hinweis und griff zum Telefonbuch.
Mach, dass dies ein unnötiger Anruf ist!
5
»Hallo?«
»Ari Anttila?«
»Ja, am Apparat.«
»Hier spricht Helena Lind, vom Jugendamt West, guten Tag.«
»Guten Tag ...«
»Ich habe schon öfter versucht, Sie zu erreichen, gut, dass es jetzt geklappt hat.«
»Ja, ich war unterwegs, zuletzt im Krankenhaus, dort müssen die Handys ...«
»Ja, richtig ... Ich wollte mich nach etwas erkundigen. Bei uns ist eine Meldung eingegangen, dass Sie ein minderjähriges Kind in der Wohnung haben ... einen Jungen.«
»Ja, stimmt, davon war gestern ja auch die Rede gewe-sen ...«
»Die Rede gewesen? Mit wem?«
»Mit einer Katri ... jetzt fällt mir der Nachname nicht ein, und ein Mann war auch dabei gewesen ...«
»Aha ... Offenbar niemand von uns. Sie haben also ... einen Jungen bei sich?«
»Ja, in gewisser Weise ... Aber die Situation hat sich quasi schon geändert.«
»Das verstehe ich jetzt nicht ganz.«
»Er ist aufgetaucht ... und dann verschwunden ... und dann wieder aufgetaucht. Wir haben seine Mutter getroffen ... und jetzt auch den Vater ... aber ehrlich gesagt habe ich gerade überlegt ... Spätestens morgen geht er nach Hause ... obwohl es natürlich gut wäre, wenn ...«
»Ist er mit Ihnen verwandt oder ...«
»Nein, auf keinen Fall, in keiner Form ...«
»Das Kind von Bekannten?«
»Nein. Vollkommen unbekannt.«
»Aber ... warum war er dann in Ihrer Wohnung?«
»Er ... hat sich einfach hereingedrängt.«
»Das klingt allerdings ziemlich außergewöhnlich.«
»Das war auch ziemlich außergewöhnlich.«
»Wie heißt der Junge denn?«
»Tomi.«
»Und der
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