Bondage (German Edition)
Nora einen für Dritte unergründlichen Blick zu, aber sie hat ihn verstanden, und sie macht sich die gleichen Sorgen wie ich.
Nora nickt knapp und zustimmend, rollt sich in ihre Decke ein und ist bald als Erste eingeschlafen. Ich verzichte darauf, das Lager mit Kemal zu teilen, denn erstens brauche ich meine Energie für die kommenden Tage, und zweitens ist Kemal ein Freund ... kein Objekt, mit dem ich meine Lust stille. Nach dieser Entscheidung dauert es nicht allzu lange, bis auch ich ins Reich der Träume gleite.
Kapitel Vierundzwanzig
Shahin
„Sieh genau hin.“ Kemals Hand packt mich an der Schulter und hält mich fest. Mit der anderen Hand deutet er zum Horizont, wo sich ein Gebirgsplateau in die Wüste erhebt. „Auf dem Plateau steht eine Zitadelle, und in ihr befindet sich der Eingang zum ‚Tal der schwarzen Katakomben’.“
„Gibt es noch einen anderen Weg?“, frage ich, denn es erscheint mir sehr schwierig, ungesehen durch die Zitadelle in das Tal zu kommen.
Kemal nickt. „Ja. Wenn ihr hier, anstatt nach Westen zu reiten, drei Stunden weiter gen Nordwesten reitet, beschreibt ihr einen Kreis um das Plateau. Der Nachteil ist, dass euch euer Weg dann genau durch das Gebiet führt, aus dem bisher noch keiner zurückgekehrt ist. Dann nämlich führt euch euer Weg über den sagenumwobenen ‚Pfad der Verlorenen’.“
Ich mustere Kemal, fasse mich dann aber schnell.
„Du möchtest mir damit sagen, dass nunmehr der Ort erreicht ist, an dem ihr auf uns warten werdet?“ Nein, ich erwarte keine Zustimmung. Kemals Miene ist mir Antwort genug.
„So sei es ... die Götter mögen euch schützen“, erwidere ich Kemals Blick und drehe mich zu meinen drei Begleitern um.
„Durch die Zitadelle mit dem Risiko, sofort gesehen zu werden und damit zu scheitern, oder über den ‚Pfad der Verlorenen’ mit der Option, uns nötigenfalls gegen mehr als nur schreckliche Gefahren schützen zu müssen?“, frage ich in die Runde, um jeden Zweifel auszuschließen.
„Na ... wir haben doch genug Gegenwehr anzubieten, oder?“, grinst Sven und klopft mit dem Fingerknöchel an sein Gewehr. Lars nickt, Nora auch.
„Okay, so sei es“, beschließe ich, winke den Zurückbleibenden ein letztes Mal zum Abschied zu und lenke mein Kamel in die Richtung, die Kemal mir gewiesen hat.
Wir reiten nun nicht mehr nebeneinander wie die ganze Zeit zuvor, sondern in einer Reihe hintereinander, ich ganz vorne an der Spitze, hinter mir Nora, dann Lars, der unser Packkamel an seines angebunden hat, und zum Schluss Sven. Ich habe mich nämlich daran erinnert, wie unsere Sippe sich verhalten hat, wenn wir in unbekannten Gegenden unterwegs waren, und diese Methode übernommen, mit dem Unterschied, dass wir vier keine Kundschafter haben, die uns schon vor Stunden vorausgeritten sind und uns sozusagen den Weg bereitet haben. Wir vier sind ganz auf uns alleine gestellt und möchten uns ungern verlieren, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die nächsten zwei, drei Stunden passiert nichts, was den Namen „Pfad der Verlorenen“ hätte rechtfertigen können. Wir reiten also gen Nordwesten, bis ich in etwa den Punkt vor mir sehe, den Kemal mir als Zeichen angegeben hat, nun gen Westen zu reiten ... dem ‚Pfad der Verlorenen’ zu folgen.
Nach ein paar Metern bleibt mein Kamel stehen und lässt sich auf den Boden nieder. Ich stutze, steige ab und trete vor das Kamel.
„Was ist los?“, frage ich eher mich selbst, weiß ich doch, dass das Kamel mir keine Antwort geben wird. Mein Reittier schaut mich an, schaut dann wieder weg, schüttelt unwillig den Kopf und spuckt vor mir in den Sand.
Nora, die hinter mir zum Stehen gekommen ist und immer noch auf ihrem Kamel thront, zuckt wortlos mit den Schultern. „Es hat Angst“, sagt mir meine Gabe, die sich plötzlich wieder meldet, nach all den Stunden voller Ungewissheit erfahre ich jetzt plötzlich, wie mein Kamel sich fühlt.
Mein zweiter Gedanke gilt Brix, doch was ihn betrifft, herrscht da immer noch Schwärze in mir. Ich bin begeistert ... und fest entschlossen, zur Not zu Fuß weiterzugehen, wenn mein Kamel sich nicht davon überzeugen lässt, weiterzulaufen.
„Komm“, bitte ich das Kamel und streichele seine Nüstern, in der Hoffnung, dass es sich besänftigen lässt. Und so ist es, nach einer ganzen Weile erhebt sich das Kamel wieder halb, lässt mich aufsteigen, und schreitet wieder voran ... jedoch nicht gemächlich wie zuvor, sondern langsam, vorsichtig, fast panisch setzt es
Weitere Kostenlose Bücher