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Bone 01 - Die Kuppel

Titel: Bone 01 - Die Kuppel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peadar O'Guilín
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zählen. Der jüngere Mann erschauderte und wandte den Blick ab. Er schaute zu einem anderen Feuer, wo seine neue Schwägerin Moosherz zum letzten Mal mit den unverheirateten Mädchen zusammensaß. Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte. Er lächelte zurück, während sich sein Herz wie ein Stein in seiner Brust anfühlte.
    »Wie bist du aus dem Turm entkommen?«, fragte Zartnase.
    »Die W-w-wände st-t-t …«
    »Die Wände stürzten ein«, sagte Zartnase.
    »Der Bl-l-l …«
    »Ach so! Der Blitz? Du hast ihn gesehen? Anschließend ist etwas auf die Erde gestürzt! Der Stamm redet von nichts anderem mehr. Jemand sagte, es wäre eine Sphäre gewesen, die vom Himmel fiel.«
    Stolperzunge starrte seinen Onkel voller Erstaunen an, aber der alte Mann grinste, als wollte er damit sagen, dass auch er nicht daran glaubte.
    Die Trommelschläge hörten auf, und die Männer kehrten vom Tanzplatz zurück. Sie lachten und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Hoch oben war das Große Dach dunkel und wurde nur von Linien aus winzigen Lichtern durchzogen, die es einem Menschen ermöglichten, ohne Fackel vielleicht fünfzig Schritte weit zu sehen.
    Onkel Zartnase zeigte auf die Lichter. »Dort haben die Geister ihre Straßen«, sagte er, »bis für sie Platz geschaffen ist, damit sie als neues Volk wieder herunterkommen können.«
    Stolperzunge nickte höflich und presste die Lippen zusammen, als er den Gestank der verfaulenden Zähne seines Onkels wahrnahm. Zartnase hatte ihm und Wandbrecher geholfen, zu Männern zu werden, doch in letzter Zeit wurde er seltener von Jägergruppen mitgenommen, weil sie befürchteten, seinetwegen langsamer voranzukommen. Zartnase tat ihm leid. Es gab kein grausameres Schicksal, als ein Leben zu führen, das nutzlos geworden war, ohne es selbst zu bemerken. Der jüngere Mann erinnerte sich an all die Geschichten über die Abenteuer des Reisenden, die Zartnase ihm nach Vaters Tod erzählt hatte. Niemand konnte sie so erzählen wie sein Onkel. Wer wusste, wie viele dieser Geschichten verloren wären, wenn er zu den Vorfahren ging? Stolperzunge hatte das dringende Bedürfnis, sich abzuwenden. Er blickte zu den verheirateten Frauen hinüber, die mit Körben voll gebratenen Fleischs von Feuer zu Feuer zogen. Im Rhythmus der Musik sangen sie davon, wie die Braut viele Kinder auf die Welt bringen würde, wie ihr Bräutigam sie mit Nahrung versorgen und wie die Kinder leben würden. Stolperzunge vergrub sein Gesicht in einem Spieß mit Haarigen-Welpe, damit er seinen Onkel nicht ansehen und über das Schicksal des Mannes nachdenken musste. Aber Zartnase wollte ihn nicht in Ruhe lassen. »Würdest du etwas von diesem Fleisch für mich kauen?«, fragte er. »Andernfalls müsste ich mich bei der Hochzeit meines eigenen Neffen mit Brühe und Dachschweiß begnügen!« Stolperzunge kam seiner Bitte nach und schämte sich, dass er es nicht von sich aus angeboten hatte.
    Als sich alle sattgegessen hatten, setzten die Trommeln wieder ein. Diesmal waren die unverheirateten Frauen mit Tanzen an der Reihe. Anerkennendes Raunen ging durch die Reihen der Männer, aber Stolperzunge wandte den Blick ab. Er wusste, dass er nur Augen für seine neue Schwägerin haben würde, und er wollte nicht, dass die anderen ihn dabei erwischten, wie er sie anstarrte.
    Stattdessen legte er sich auf den Rücken, um die funkelnden Lichter am Dach zu beobachten. Er stellte sich die einsamen Geister vor, die seinen Blick erwiderten und begierig darauf warteten, ihren Platz unter den Lebenden einzunehmen. Er sah, wie oben eine Sphäre vorbeizog. Ihre Metallhülle glitzerte im eigenen Licht. Stolperzunge fragte sich müßig, ob sie ein Lebewesen war und wie ihr Fleisch schmecken würde, falls er nahe genug herankäme, um die Hülle aufbrechen zu können. Sämtliche Generationen der Menschen hatten solchen vergeblichen Hoffnungen nachgehangen. Doch wenn die Gerüchte stimmten, war heute tatsächlich eine der Sphären auf die Oberfläche gefallen. Er erschauderte, als er daran dachte. Das Wunder hatte ihm das Leben gerettet – der Ausgleich für den Verrat eines Bruders, der ihn nicht nur im Stich gelassen, sondern auch noch Stolperzunges Beute als seine beansprucht hatte. Er knirschte mit den Zähnen. Er hatte erwartet, am Tag der Hochzeit von Moosherz und Wandbrecher traurig zu sein. Es überraschte ihn, dass er nur Wut empfand.
    »Behalt es für dich, Sohn«, sagte Mutter, die in seiner Nähe saß, obwohl er kein Wort gesagt

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