Bone 02 - Das Ende des Himmels
mindestens auf der Höhe des Treppenabsatzes, auf dem die anderen jetzt schliefen. Vielleicht schloss sich dort ein weiterer Raum an und darüber wieder einer. Wer konnte sagen, wie viele Ebenen es hinaufging? Dieser Gedanke beunruhigte ihn und machte ihm erneut die wahre Macht der Dachbewohner bewusst. Dass sie mit dieser Macht nichts anderes anzufangen wussten, als zu faulenzen und sich am Leid anderer zu ergötzen, erfüllte ihn mit tiefster Abscheu.
»Ich hasse sie«, sagte er und lauschte dem Echo seiner Worte. Nicht Jagadamba und Hiresh. Auch nicht Indrani – natürlich nicht Indrani! Aber ihren Stamm. Die große Leere, die ihr Stamm darstellte. Das Dach und alles, wofür es stand. Das wurde ihm erst jetzt in vollem Umfang bewusst.
Seine Füße juckten immer mehr. Er ignorierte diese Empfindung, als er auf eins von vielen Tausend ovalen Gebilden aus Metall zustapfte, die es in diesem Raum gab. Hier war der Verwesungsgestank besonders intensiv. An der Oberseite war eine harte durchsichtige Scheibe angebracht. Er konnte nicht genau erkennen, was sich darunter befand, aber als er den Zylinder mit den Händen ertastete, spürte er kleine Knöpfe, die vielleicht so etwas wie Klammern waren, ähnlich denen, die die Frauen mit Knochen und Faden herstellten.
»Schauen wir mal, was wir hier haben«, murmelte er.
In diesem Moment hörte er den Schrei.
Hiresh. Er hatte sie allein gelassen. Wie konnte er so etwas nur tun? Unverzüglich hastete er die Treppen hinauf. Inzwischen brannten seine Füße.
Es ist nur ein Traum , dachte er. Hier gibt es nichts Gefährliches außer den Wärtern, und mit ihnen komme ich zurecht!
Einige Herzschläge später traf er gerade noch rechtzeitig ein, um zu sehen, wie die Tür neben Jagadamba mit einem dumpfen Schlag zufiel. Sie war sauber gewesen, erinnerte er sich. Sauberer als alle anderen Türen. Wandbrecher hätte erkannt, was das bedeutete, aber nicht sein dummer jüngerer Bruder, der sich zu leicht von neuen Dingen und Gerüchen ablenken ließ und ihre Sicherheit vernachlässigte. Idiot, verdammter Idiot!
Jagadamba lag immer noch dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Sie hatte sich auf einem Arm hochgestemmt, zeigte auf die Tür und plapperte. Er rannte an ihr vorbei und zog am Knauf, der daran angebracht war. Er zerrte mit aller Kraft. Die Tür knirschte ein wenig, blieb aber geschlossen. Er schlug gegen das Metall, was ein hohles Echo erzeugte, aber mehr bewirkte er damit nicht.
»Hiresh!«, rief er. »Halt d-d-durch, Hiresh! Wir holen dich d-da raus! Irgendwie w-werden wir reinkommen!«
Er spürte eine Berührung am Arm. Die alte Frau hatte sich aufgerappelt und zerrte an seinem Ellbogen. Er konnte es nicht fassen. Sie wollte, dass sie die Flucht ergriffen und Hiresh im Stich ließen!
»Er gehört zum Stamm!«, brüllte er sie an, erstaunt über seine Wut und das wilde Pochen seines Herzens. Er schüttelte sie ab und hämmerte erneut gegen die Tür. Dann erinnerte er sich an ihre linke Hand. Sie schien sie ihm nur widerstrebend geben zu wollen, doch dann drückte er sie trotzdem gegen die Tür und wartete auf die wundersame Wirkung. Aber nichts geschah. Er ließ sie los. Wie? , fragte er sich. Wie sollte er hineinkommen? Falls es hier einen Raum wie den gab, in dem er gewesen war, führte vielleicht ein Weg durch die zerfressenen Wände ein Stockwerk höher.
»Wir müssen nach oben«, sagte er zu Jagadamba. Er war in großer Sorge. Warum hatte Hiresh geschrien? Was für schreckliche Dinge taten ihm die Wärter an?
Jagadamba grinste höhnisch. Sie legte die knorrigen Finger um den Knauf und drehte. Mühelos öffnete sich die Tür. Sie trat zurück, um ihn hineinzulassen. Ganz einfach.
Er drängte sich an ihr vorbei. Mit jedem Herzschlag verlor er kostbare Zeit. Blasses Licht ähnlich wie im Treppenschacht warf lange Schatten hinter die Reihen aus Zylindern. In diesem Raum fehlte der üble Gestank, der auf den anderen Ebenen vorgeherrscht hatte. Die Luft summte , und nur ein wenig Schleim hatte sich an einigen Stellen zu Pfützen gesammelt. Ein größeres Objekt war durch einen der Gänge zwischen den Zylindern geschleift worden.
Stolperzunge versuchte sich zusammenzureißen. Warum habe ich es so eilig? , fragte er sich. Das hier war nicht die Oberfläche. Hier gab es keine so großen Gefahren, und er wollte nicht in einen Hinterhalt geraten. Er folgte der Richtung der Schleimspur, wich jedoch den Pfützen aus, weil seine Füße immer noch von der letzten Berührung
Weitere Kostenlose Bücher