Bonita Avenue (German Edition)
Etwas in der Art musste er gefragt haben, denn den schwer verständlichen Bruchstücken entnahm er, dass er außer Verbrennungen dritten Grades am ganzen Körper auch noch fünf gebrochene Rippen davongetragen hatte, eine perforierte Milz und zahlreiche offene Fleischwunden. Die Ärzte hatten Ennios Beine, Brust und einen großen Teil seines Rückens mit Spenderhaut abgedeckt – wie eine Schüssel Lasagne stellte er sich das vor. Jeden Morgen mussten die tiefen Wunden aufs Neue desinfiziert, mit Salbe bestrichen und verbunden werden, eine schmerzhafte Angelegenheit, weswegen man ihm spezielle Schmerzmittel und Tranquilizer gab. Unterdessen verlor Ennio in seinem Urwald aus Schläuchen und Apparaten literweise Flüssigkeit, und allerlei Organe verweigerten den Dienst, sodass er ständig Infusionen bekam, die ihn an den merkwürdigsten Stellen anschwellen ließen.
Joni stockte. Sie bettete das runde Kinn auf ihre Arme, die sie auf dem Tisch verschränkt hatte.
«Aber er lebt», fasste er zusammen und unternahm einen halbherzigen Versuch, ihr über den Tisch hinweg eine Hand auf die Schulter zu legen. Als er sie berührte, schnellte ihr Oberkörper hoch. «Ja, er lebt noch», schrie sie. Sie stieß ihren Stuhl nach hinten und stand auf.
«Joon …», sagte Tineke.
«Er lebt noch, aber sie sagen, es ist so gut wie aussichtslos, du Flasche. Er hat eine Blutvergiftung und eine Lungenentzündung. Der Mann liegt in den letzten Zügen. Und alle macht das total fertig – alle in der Familie sind am Ende. Aber du, du denkst offenbar, alles ist immer halb so schlimm.»
«Das denkt Aaron bestimmt nicht», sagte Tineke beschwichtigend. Sie schüttelte den Kopf. «Es ist doch schrecklich, dass gerade ihm das passiert, so kurz nach der Trennung. Erst wird er brutal beiseitegeschoben, und dann das.» Besorgt ließ sie den Blick durch den Garten wandern, ihr Kinn schleifte am Fett ihres Halses entlang, und sie hielt erst in der Bewegung inne, als sie ihn ansah – fragend, wie es schien.
«Ennio vögelte doch seine weiblichen Aushilfen?», sagte er. Eine gespannte Stille setzte ein. «So heißt es jedenfalls.»
Joni putzte sich die Nase mit einem Stück Küchenkrepp, warf das Papierknäuel auf den Tisch und starrte in den Garten.
«Es gibt Menschen», fügte er noch hinzu, «die in so einem Fall sagen: Gott straft sofort und unerbittlich. Aber ich würde das nicht behaupten.» Seine Bemerkungen kamen an wie Möwenscheiße, das spürte er durchaus, aber sie erfüllten ihn auch mit Zufriedenheit, sein Schlafmangel machte seinen Kopf ganz klar, «schlaflos» ließ sich auch mit «wachsam» umschreiben. Und dieser Ennio war einfach ein Schwein. Jedes Jahr mit einer anderen Erstsemesterstudentin zwischen seinen Chutneys.
«Wenn du mein Sohn wärst», sagte Tineke, «dann würde ich dir jetzt eine Ohrfeige verpassen.»
Aber ich bin nicht dein Sohn, dachte er. Er schob den letzten Happen Reis mit Sauce auf dem Teller zusammen, steckte ihn sich in den Mund und sagte: «Ich muss gleich los. Judo.»
Als er und Sigerius gegen Mitternacht zerschlagen zum Bauernhaus zurückkehrten, lag Joni bereits im Gästebett. Ihr schlafender Körper dünstete Wut aus.
Vorsichtig kroch er neben sie, bereit für eine weitere Nacht ohne Schlaf. Zum ersten Mal seit der Szene bei Tisch war er mit Sigerius unter vier Augen gewesen, und schon bald hatte er gemerkt, dass dieser voller Groll war. Sie saßen mit dem großen Skizzen-Lehrbuch auf der Matratzenkante und sprachen über Judo-Kata, als Sigerius ihn fragte, ob Joni noch etwas zu der «Sache» gesagt habe. Du meinst diesen Ennio, hatte er gespielt naiv geantwortet, oder ihre Praktikumspläne? Nein, nein – Sigerius meinte das Theater wegen Wilbert, du weißt schon, neulich beim Essen, der Knatsch wegen meines Sohnes. Er erwiderte, sie hätten nur kurz darüber gesprochen, Joni habe ihm dies und jenes von früher erzählt, aber in den letzten Tagen hätten sie kaum ein Wort gewechselt. Das sei ja auch eine Angelegenheit zwischen Vater und Tochter gewesen, versicherte ihm Sigerius, nichts, womit er ihn belasten wolle, das auf gar keinen Fall, aber eine Frage habe er doch: Ob Aaron zufällig wisse, ob Joni Verbindung mit Wilbert aufgenommen habe? Habe sie mit ihm telefoniert? Sei ihm irgendwas in der Richtung aufgefallen?
Nein, er wisse von nichts.
Na dann – mehr wollte Sigerius nicht hören, Schwamm drüber, an die Arbeit, und damit schien für ihn die Sache erledigt zu sein, aber für
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