Bonita Avenue (German Edition)
Aaron fing sie jetzt erst an, von einem Schwamm keine Spur, vor allem nicht jetzt, wo er wieder einmal hellwach neben Joni lag. Mal keine quälenden Phantasien über ihre Eskapaden mit dem Chutneyhändler, mal keine Sorgen wegen Stol und McKinsey, doch Erlösung konnte man das nicht nennen. Was wurde da gespielt? Weswegen machte Sigerius sich darüber so einen Kopf? Warum hatte sie ihm den Clou vorenthalten? Die Nacht lag vor ihm wie eine Streckbank aus Zeit. Sigerius’ Angst war die seine geworden, nun wollte er auf einmal wissen, ob sie mit diesem Kriminellen gesprochen hatte, und vor allem: warum . Was sollte das?
Während sie friedlich schlummernd neben ihm lag, auf ihrer Betthälfte ofenbar so weit wie möglich von ihm entfernt, ging er die schlimmsten Szenarien durch. Wilbert hatte sich an ihr vergriffen. Nein, die beiden hatten ein Verhältnis gehabt. Bonnie und Clyde. Noch jahrelang hatte sie Wilbert in seiner Zelle besucht, wöchentlich eine Stunde lang rummachen in einem Kasten aus Panzerglas. Irgendwo lief ein Kind der beiden herum, sie hatte geworfen oder zumindest eine Abtreibung vornehmen lassen müssen – und so beschleunigten sich seine Gedanken, rasten umher, immer schneller, immer wilder, bis ihr elektrisches Feld stark genug war, Joni zu wecken: Plötzlich schreckte sie auf. Da lag sie, schmatzend und keuchend von Träumen, die er nur erahnen konnte. Sie schaltete die Lampe an, tastete seufzend nach ihrer Uhr. «Mist», sagte sie. Dann erst schaute sie zur Seite. Er saß aufrecht im Bett, mit dem nackten Rücken an der Raufasertapete. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war … unbeschreiblich. Was lag darin? Eis. Verachtung, Tadel. Hass? Ihre Wut hatte zu gären begonnen, und was er spürte, war … Abscheu .
Dennoch gelang es ihm, einen vollständigen Satz herauszubringen. «Joni», sagte er mit gepresster Stimme, «hat Wilbert dich angerufen?»
Sie richtete sich, mit der Decke kämpfend, auf und sah ihn spöttisch an. Sie gab ein abfälliges Lachseufzen von sich, und einen Moment lang rechnete er mit einer Antwort, aber sie wandte sich kopfschüttelnd von ihm ab, vergrub ihr blondes Haar im Kissen und sagte: «Gute Nacht, Trottel.»
Er durfte wieder zurück in sein Haus. «Heimwärts», sagte er guter Dinge nach ihrem letzten Frühstück im Bauernhaus, und ohne noch ein weiteres Wort zu wechseln, allerdings auf eine Weise, als wäre es völlig normal, dass Joni ihn begleitete, luden sie ihre Taschen in den Alfa und fuhren den Langekampweg hinunter, er am Steuer, Joni daneben, mit dem Meerschweinchenkäfig auf dem Schoß. Der Morgen spannte sich hellblau über den Campus. Schweigend fuhren sie die Hengelosestraat entlang, er kannte diese Art von Streit, er wusste genau, wie lange er dauern würde.
Sie mochten keine Wortgefechte, konnten Streitereien, die sich hinzogen, beide nicht ausstehen. Natürlich hatte es öfter Meinungsverschiedenheiten gegeben, Krach, nach dem die Türen locker in ihren Angeln hingen, doch das waren Zwischenfälle, die immer seltener wurden, je besser sie die Schwächen und Zündmechanismen des anderen einzuschätzen lernten. Joni hasste Streit, weil sie dafür zu effizient war, immer war sie auf der Suche nach dem kürzesten Weg zum Erfolg, was für sie, im Gegensatz zu ihm, nicht unbedingt bedeutete, dass sie die Oberhand oder recht behalten musste, Hauptsache, sie erreichte etwas, was ihr einen Vorteil brachte. In ihren Augen war Streit, das hatte sie ihm paradoxerweise während einer verbissen geführten, vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Auseinandersetzung entgegengeschrien, «un-pro-duk-tiv!».
Am Anfang der Deurningerstraat ließen sie ihre Blicke an der Holzwand entlanggleiten, einer mannshohen pissgelben Absperrung, die sich parallel zur Lasondersingel erstreckte und an der Blijdensteinlaan um die Ecke bog. «Sieht aus wie das Dorf von Asterix und Obelix», sagte er zu Joni, «nur weniger uneinnehmbar.» Sie lachte nicht.
Er selbst war schlicht ein Waschlappen. Wenn es irgendwie ging, vermied er Konflikte, für ihn bedeutete Streit mit Joni Gefahr . Seinen Freunden erzählte er schon seit vier Jahren, dass Joni die Mutter seiner Kinder werden würde. Um zu verhindern, dass etwas dazwischenkam, hatte er sie bis vor kurzem immer nur mit Samthandschuhen angepackt.
Beklommen liefen sie den Weg zur Haustür hinauf, mühelos glitt der Haustürschlüssel, den die Stadt ihm hatte zukommen lassen, in den nagelneuen Lips-Zylinder. «Stell die Tiere am besten
Weitere Kostenlose Bücher