Bonita Avenue (German Edition)
schreckliche Geschichte», sagte sie, «einfach furchtbar.» Den Blick auf die Tür gerichtet, sagte sie: «Er stand in Flammen. Wenn ich Joni richtig verstanden habe, lag er gerade auf der Couch und machte ein Nickerchen, als das Wohnzimmerfenster ins Innere des Hauses flog. Rücken und Beine, alles voller Glassplitter. Dann geriet der Teppich unter dem Couchtisch in Brand, und anschließend auch die Couch, auf der er lag, ganz und gar Synthetik natürlich. Er hat sich durch das kaputte Fenster ins Freie gerollt und erst da bemerkt, dass seine Hose brannte.» Sie schüttelte den Kopf. «Und während er versucht, die Flammen durch Draufschlagen zu löschen – es ist wirklich nicht zu glauben –, da wird er am Gartenzaun vom Schornstein seines eigenen …»
Sie verfiel schlagartig in Schweigen, als Joni die Fliegentür öffnete. Hübsche Rechenaufgabe, hörte er sich selbst denken, während Joni sich auf dem Weg näherte. Gegeben: die Rollgeschwindigkeit des Mannes und der höchste Punkt des Schornsteins. Gesucht: Wie tief ist der Garten? Joni sah aus, als hätte sie Schmerzen, und sie hatte tatsächlich Schmerzen: Aufstöhnend knallte sie ihm einen dampfenden Teller Tandoori-Huhn vor die Nase. Auf ihre Finger pustend, ging sie um den Tisch herum. Sie sah schlecht aus.
«Was ich heute wieder erlebt habe», sagte er, noch bevor sie Platz genommen hatte. «Ich habe drei evangelische Studenten fotografiert. In ihrer Notunterkunft. Typen, die in der Tollenstraat 49 gewohnt haben, in einem Studentenwohnheim, genau gegenüber der Feuerwerksfabrik. Mit alttestamentarischer Gewalt vom Erdboden gefegt. Fotos, Seminararbeiten, ein funkelnagelneues Klavier, zwei geliehene Anzüge: alles nur noch Asche. Und trotzdem haben sie ihren Glauben nicht verloren. Redegewandte Jungs, die dem Herrn dafür danken, dass sie nicht zu Hause waren. Und so evangelisch sie auch sind, ist ihnen doch klar, dass Humor der beste Weg ist, mit der Katastrophe fertig zu werden.»
«Ich bin bei Ennio gewesen», sagte Joni.
«Schon nach zwei Tagen», fuhr er fort, «hatten sie 13.-Mai-Witze auf Lager. Den ganzen Tag treten sie sich in dieser Notunterkunft auf die Füße. ‹Hey, seh ich das richtig? Hast du etwa einen neuen Pullover?› – und das immer wieder.» Er grinste, verleibte sich einen Happen Tandoori-Huhn ein und schaute kauend Joni an. «Hab ich schon gehört», sagte er mit vollem Mund. «Er kann also schon Besuch empfangen. Dann geht es ihm wieder besser.»
Mit einer seltsamen Bewegung, einer Art krampfhaftem Zucken, schlug sie die Küchenrolle vom Tisch. «Wieder besser?» Sie holte wie ein Schwammtaucher Luft und verschwand unter dem Tisch. «Er liegt auf der Intensivstation, Aaron», ertönte es von unter Wasser. Als sie mit der Küchenrolle wieder auftauchte, stieß sie sich die Schulter am Tischrand, heftig genug, dass neue Tränen flossen.
«Du hast es wirklich schwer, Liebes», sagte Tineke. «Wein dich ruhig aus.» (Es war Heulen, Frau Doktor, sie heulte . Nein, so sagte er es nicht, Monate später sollte er sich Haitink gegenüber euphemistischer ausdrücken, er fand, dass Joni sehr emotional auf das reagierte, was sie in diesem Groninger Krankenhaus gesehen hatte. Als hätte sie sich dort die Tränenkanäle operativ verkürzen lassen. Die beiden Geisire, stellte er fest, machten sie auf rätselhafte Weise hässlich, ganz im Gegenteil zu dem, was Tränen aus seinen früheren, weniger hübschen Freundinnen gemacht hatten; die wurden schöner, wenn sie weinten, ihre Tränen rührten ihn. Er verglich Jonis Heulsusenkopf in aller Ruhe mit ihrer sonstigen skandinavischen Frische. Das breite Gesicht mit der glatten, straffen Haut; ich sollte auch mal wieder an die frische Luft, dachte man, wenn man sie vor sich hatte. Die obere Hälfte strahlte Gesundheit aus, normalerweise jedenfalls, Kraft, genetisches Gold. Jonis Cleverness, ihre Sinnlichkeit, ihre brandgefährliche Weiblichkeit, die zeigten sich tiefer, versammelten sich um ihren Mund, jetzt ein zitternder, blasser Strich, sonst aber eine dunkelrote Anemone, ein Mund, dessen Unterlippe ein wenig hervorragte und immer feucht aussah. Nur leicht gespitzt, und alle Gesundheit wurde überreif, dekadent. Obwohl sie sich ihrer visuellen Waffen bewusst war, drückte sie mit dem Zeigefinger manchmal die Spitze ihrer unauffälligen Nase herunter: Sie fand, dass die gen Himmel fuhr. Dem war nicht so. Erstaunlich, wie viel Schnodder da rauskommen konnte.)
Und wie ging es Ennio jetzt?
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