Bonita Avenue (German Edition)
morgen heißen. In der Stille spürte er auf einmal, dass sie ihm etwas verheimlichte. Sie fertigte ihn mit einer aufgehübschten, aaronfreundlichen Version der Geschichte ab. Sie hütete sich, über jeden, an dem ein Pimmel hing, die Wahrheit zu sagen. Nach vier Jahren war seine Eifersucht zu einem so starken Faktor in ihrer Beziehung geworden, dass er nicht anders konnte, als sich in Mutmaßungen darüber zu ergehen, in was für einem Verhältnis sie wirklich zu Wilbert gestanden hatte. Selbst wenn sie Zwillinge von ihm hätte, sie würde es ihm nicht erzählen.
«Bestimmt warst du wieder mal verliebt», sagte er aufgebracht.
«Wie du meinst», erwiderte sie umgehend.
Er verbiss sich die Wut. «Und ich habe immer noch keine Antwort bekommen. Warum diese bescheuerte Szene vorhin? Warum hast du die Schüssel mit Kartoffelkroketten in Scherben geschmissen?»
Sie reagierte nicht. Minutenlang betrachtete er den von ihm abgewandten Körper. Bis er an ihrem Atmen hören konnte, dass sie schlief.
Während der nächsten Tage wich Sigerius seiner älteren Tochter aus; Aaron schien es jedenfalls kein Zufall zu sein, dass die beiden kein einziges Mal gleichzeitig am Tisch saßen, zumal Sigerius meistens außer Haus aß. Joni verhielt sich, als hätte sie ihr nächtliches Gespräch vergessen, und wich ihm aus. Ihr Verhalten ärgerte ihn: Mal freute sie sich wie ein Kind auf ihr Praktikum bei McKinsey, dann wieder heulte sie Rotz und Wasser wegen Ennio.
Er selbst arbeitete viel für die Tubantia Weekly . Gott sei Dank. Es war nicht zu übersehen, dass die Feuerwerkskatastrophe das Beste aus ihm hervorholte. Trotz der schlaflosen Nächte war er in den vergangenen Wochen über sich hinausgewachsen. Blaauwbroek verblüffte das. Sein Chef war der Erste, dessen Aufspruch sie auf Jonis Anrufbeantworter vorgefunden hatten, noch vor dem Hauptfeld aus besorgten Freunden und Verwandten, und er hatte sich wie ein Elfjähriger angehört, der gerade beobachtet, wie in seinem Dorf der Zirkus Einzug hält. «Hey, Bever, Mann, Henk Blaauwbroek am Apparat. Ich gehe mal davon aus, dass du noch lebst. Hast auch du den Knall gehört? Wach auf aus deinem Winterschlaf, Kleiner. Hast du Fotos? Wir machen eine Sonderausgabe, wie du dir bestimmt schon gedacht hast.»
Seinen Chef und ihn verband eine Hassliebe, bei Ausflügen und Umtrünken verbrüderten sie sich lautstark, doch bei der Arbeit lieferten sie sich ein fortwährendes Gefecht. Weil er die Kunstakademie und nicht den Studiengang Journalistik absolviert hatte, warf Blaauwbroek ihm ständig künstlerische Ambitionen vor, eine Karte, die er unermüdlich ausspielte. «Das kommt nicht ins Museum, Kleiner» oder «Versuch’s mal mit einer kürzeren Belichtungszeit» oder «Da ist ja unser Stilllebenfetischist» – wie oft hatte er solche Bemerkungen über sich ergehen lassen müssen. Und er war ja auch ein ziemlich schlechter Nachrichtenfotograf, das gab er ohne Umschweife zu, nicht schnell genug für das Tagesgeschäft, zu zögerlich, nicht scharf auf heiße Meldungen, aber deshalb, so antwortete er Blaauwbroek, arbeite er ja auch für ihn und nicht für Reuters.
Jetzt aber marschierte er durch das von internationalen Medienvertretern überlaufene Enschede, als hätte ihn das Time Magazine geschickt. Bei einem chinesischen Importeur in Lüttich fotografierte er Feuerwerkskörper der Klasse 1.1, die Sorte, die aus den Bunkern der Firma Fireworks Salmiakpulver gemacht hatte, vor, während und nach der Explosion. Zusammen mit zwei ehemaligen Bewohnern und dem Polizeichef von Enschede fuhr er im Schutzanzug durch das Katastrophengebiet – beides Ideen, die er zur Abwechslung mal selbst vorschlug. Er machte eine Porträtserie von obdachlosen Roombeekern, die er dazu brachte, sich in den zerfetzten und blutigen Kleidern fotografieren zu lassen, die sie am Samstag, dem 13. Mai, getragen hatten (seine Aufnahme von einem Mann, der, eine Grillzange in der Hand, mit nur einem Slipper stundenlang halbnackt durch das brennende Viertel gelaufen war, wurde als Titelbild für eine Broschüre der Opferhilfe verwandt). Vom durchsiebten Dach der Grolsch-Brauerei aus bannte er das versengte Katastrophengebiet aufs Bild – ein desillusionierendes Kriegsfoto, das das Algemeen Dagblad ihm abkaufte.
Die Luft auf seinem kleinen Katastrophenplaneten war, anders ausgedrückt, recht dünn, ihm schwindelte der Kopf. Er vertrat den Standpunkt, dass jeder Einwohner von Enschede, der noch am Leben war und alle
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