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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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uns arbeiten würde –, konnten die es sich sehr wohl vorstellen, sodass Rusty nicht mehr zu bremsen war. In dem japanischen Restaurant, in dem wir am Abend alle um eine heiße Stahlplatte herumsaßen, hielt Rusty eine ziemlich trunkene Ansprache zur Lage der Nation, eine Rede über Corporate Identity, über die revolutionär «offene» Einrichtung der Großraumbüros, über die «coolen» Titan-Roller, mit denen wir uns über die langen Gänge fortbewegen würden. Er schaffte es, uns alle vor Mitternacht ins Digger zu kriegen, wo wir uns bis tief in die Nacht auf einer hippen Dachterrasse verkühlten. Als der Van mich am Sunset absetzte, wurde es bereits hell.
    Ich spülte zwei Panadol mit einem Schluck Kaffee hinunter und dachte über Aaron nach. Was für ein Leben führte er da wohl in dem flämischen Dorf? Ihn mir in diesen Schulen vorzustellen tat mir auf komplexe Weise weh. Die Frage war, ob ich das Recht dazu hatte, vor allem wenn man sich die offensichtliche Begeisterung vor Augen führte, mit der er diese alberne Website pflegte. Wer es nicht besser wusste, konnte meinen, er habe seine Bestimmung gefunden. Doch so hatte ich ihn nicht gekannt; wenn ich dem Aaron von früher diese Zukunft vorhergesagt hätte – mit einem Kleinbus Kindergärten abklappern, flämische Kindergärten zumal –, dann hätte er nicht einmal gelacht; er hätte mich gebeten, ihn vorsichtshalber zu töten.
    Ich bewegte die Schultern nach hinten. Diese bis ins Detail durchdachte Website ließ mein latentes Schuldgefühl wieder auflodern, mehr noch als das, was in seinen seltsamen E-Mails stand: Der Selbstvorwurf, dass ich ihn in diese Sexseite «mit hineingezogen» hatte (wie es in Anklagen gegen Colin Powell und Tony Blair hieß), lebte nach langer Zeit wieder auf. Alles war meine Schuld, der alte Reflex. Ich atmete kräftig durch die Nase ein. In dem Moment, wo ich von ihm wegwollte, habe ich unser Schicksal untrennbar verwoben – solche und ähnliche Hirngespinste. Für einen Augenblick saß ich ihm wieder gegenüber, an seinem Esstisch in der Vluchtestraat, an jenem lange zurückliegenden Morgen, als ich ihm die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Wir machten schon seit Monaten Fotos für den eigenen Gebrauch, einfach so zum Spaß, behauptete ich und glaubte er, und beim Frühstück rückte ich raus mit meinem Plan. Wir hatten eine desillusionierende Nacht hinter uns, irgendwann war ich durch einen lauten Schrei, einen Fluch, aus dem Schlaf gerissen worden und hatte Aaron in einer Zimmerecke sitzen sehen, auf dem Stuhl, auf den ich Stunden zuvor meine Kleider gelegt hatte – er weinte. Auf dem Boden vor ihm: ein in Fetzen gerissenes Heft, in dem ich sofort mein Schulheft erkannte, über das wir uns schon bis zum Abwinken gestritten hatten. Auf den beiden glatten Umschlaginnenseiten führte ich, schon seit ich dreizehn war, eine Liste, die chronologische Aufzählung all der Jungs, die ich mindestens geküsst hatte, Datum, Alter, Vorname, Ort, Augenfarbe, Haarfarbe, Haar länge , was weiß ich. Insgesamt umfasste die Liste jedenfalls mehr als einhundert Namen, eine Zahl, die Aaron «astronomisch» fand, genauso wie er fand, ich sei ein «astronomisches Flittchen», ständig nörgelte er wegen dieser dämlichen Liste herum, ja warum da auch zwei Mädchennamen stünden? («Na warum wohl?»)
    Lustig fand ich sein eifersüchtiges Gejammer schon lange nicht mehr, und eigentlich hatte ich auch schon den Entschluss gefasst, ihn in die Wüste zu schicken, zieh ab, sieh doch zu, wie du klarkommst, aber als ich ihn so dasitzen sah zwischen den Papierknäueln und Schnipseln, da beeindruckten mich die Kräfte, die ich in ihm wachrief. Ich war mir meiner sexuellen Überlegenheit durchaus bewusst, ich kannte meine Wirkung auf bestimmte Männer, aber das? Ich hatte Macht über ihn. Dieser Mann würde mich nicht nur nie verlassen, er würde auch alles tun, um mich zu halten . Deshalb machte ich an diesem Morgen nicht Schluss, sondern sagte ihm zwischen zwei Bissen in mein Brötchen, dass ich ihm etwas erzählen müsse. «Ich werde eine Sexseite aufziehen», sagte ich. «Im Internet, du weißt schon.» Ich erinnere mich noch, dass seine Kinnlade herunterklappte, ich sah den Brei aus Brot und altem Gouda. «Am liebsten natürlich mit dir», fügte ich hinzu, um ihn zu beruhigen.
     
    Im Foyer waren laute Stimmen zu hören; Rusty begleitete seine Gäste nach draußen, ich hörte sie redend die Treppe hinunterpoltern. Erst als es vollkommen still

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