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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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stand er auf seinem Bett und wedelte mit dem Scheißding in der Luft. ‹Verschwinde, dreckiger Japse! Haaaah – ich bring dich um.›» Er grinste. «Oder etwa nicht, Loes?»
    Seine Schwester hielt ihm eine Dose mit Spritzgebäck unter die Nase.
    «Dein Vater ist auch mal abgehauen», sagte Gerrit. «Aus dem Lager geflohen. Zwei Wochen durch den Dschungel. Ja, ja. Ein Held. Dein Vater ist ein Held.» Vielleicht weil er erst vierzehn war, noch nie Läuse gehabt hatte und Stockschläge nicht kannte, vielleicht auch weil ihn Gerrits giftiges Gezische anwiderte, kostete es Siem große Mühe, ihm weiter zuzuhören. «Die Kempeitai, die kennst du doch bestimmt?», fragte Gerrit. «Die japanische Gestapo, könnte man auch sagen. Dein Vater läuft ihr einfach in die Arme. Armer Kerl. Den Rest des Kriegs hat er in einer eisernen Kiste verbracht, einem Verschlag, ein mal ein Meter. Nicht sitzen, nicht stehen, nicht liegen. Ein paarmal die Woche haben sie ihn rausgelassen, um ihm noch eine extra Tracht Prügel zu verpassen … ja, ja.»
    Als Siem wieder draußen und auf dem Weg nach Hause war, beruhigte er sich, wurde sein eben noch erhitztes Gemüt kalt vor Aufmüpfigkeit. Wenn all das stimmte, was Gerrit erzählte, dann fand er es schlimm für seinen Vater, wirklich, aber was hatte ein Judo-Verein in Delft mit dem Krieg in Asien zu tun?
    Sein Vater und er hoben den Sekretär wieder an, diesmal beide weiter oben, sodass sie mit kleinen Schritten, sein Vater rückwärts gehend und sich ab und zu flüchtig umschauend, um die Ecke bogen, in die Kruisstraat hinein. Obwohl seine Arme vor Anstrengung zitterten, hatte er noch genug Energie, über Judo nachzudenken. Er musste einfach das Problem in seiner ganzen Tragweite durchdenken. Sie hatten noch rund zwanzig Meter vor sich, als aus der anderen Richtung der dunkelgrüne VW Käfer seines Schwagers angeknattert kam. Gerrit parkte schräg gegenüber der Hausnummer 23. Als sein Vater das Möbelstück absetzte und sich umdrehte, begann unter Siems Schädeldecke etwas zu rotieren. Er sah, wie Gerrit, einem Laufvogel nicht unähnlich, aus der dunkelgrünen Wölbung kroch. Gerrit hatte seinen Vater neulich zu einer Spritztour nach Rotterdam eingeladen. Leidenschaftliche Entrüstung polterte in seinem Schädel herum. Loes und ihr Mann hatten einen Volkswagen. Ein deutsches Produkt, ein Auto, das sich verdammt noch mal Adolf Hitler ausgedacht hatte. Und sein Vater nahm einfach darin Platz! In einem Auto von Hitler!
    Gerrit ging ihnen entgegen. «Ich löse dich ab», rief er schon von weitem seinem Schwiegervater zu, der mit dem Rücken am Sekretär lehnte.
    «Papa», sagte er, aber sein Vater schaute sich nicht um. «Papa», rief er, «sagen Sie mir bitte mal, warum Loes und Gerrit mit einem Naziauto fahren dürfen, ich aber nicht zum Judo darf.»
    Es ging schnell, mit zwei Schritten war sein Vater auf der anderen Seite des Sekretärs, so flink und athletisch hatte er ihn noch nie etwas tun sehen. Dann: säuselnder Schmerz. Hart und gnadenlos landete die flache Hand seines Vaters auf der linken Ohrmuschel, dem verletzlichen Körperteil, das noch längst nicht blumenkohlförmig war von sechzehn Jahren Wettkampf-Judo, die folgen sollten. Die Tränen schossen aus den Tränenkanälen von dieser schallenden Ohrfeige, aber er riss sich zusammen. Mit den Augenlidern kniff er die Flüssigkeit weg, sodass er das gemaserte Holz des Sekretärs wieder scharf sah. Sein Vater zeigte mit ausgestrecktem Arm zu der Straße, aus der sie gerade gekommen waren. «Geh mir aus den Augen», sagte er. «Verschwinde.»
     
    Früher wohnten Ria und Hans in einer Seitenstraße der Antonius Matthaeuslaan, Hinterhaus, zweiter Stock; inzwischen residieren sie am Wilhelminapark in einem renovierten Herrenhaus, das Hans mit seinem Großhandel für südafrikanische Weine erwirtschaftet hat. Sie essen im schattigen Garten. Nach ein paar Gläsern rotem Kranskop diskutiert Sigerius mit ihrem Gastgeber, einem Vereins-Schachspieler, der schwarz-weiße Ansichten vertritt, über die mathematischen Verdienste des Schachspiels. An dem unangenehmen Fanatismus, mit dem er sich in einer Meinung verbeißt, die nicht einmal von ihm ist – er hat sie von G. H. Hardy, der gesagt hat, dem Schach fehle, ungeachtet seines Charmes, etwas Essenzielles, Schach sei nämlich, im Gegensatz zur Mathematik, nicht wichtig , «Mathematik, Hans, ist schön und relevant, das kann man vom Schach einfach nicht behaupten» –, merkt er, wie sehr

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